http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=1263833&kat=10

Urteile in Deutschland (Stand 20.07.2010)

Rauchen:

Arbeitgeber können Überstunden anordnen

 

Heimliche Zigaretten, zu viele Pausen oder der Wunsch nach tabakfreien Zonen beschäftigen die Richter häufig
Rauchen: Arbeitgeber können Überstunden anordnen


 

NÜRNBERG - Früher war Rauchen sexy, inzwischen herrscht dicke Luft: 2,4 Millionen Wähler votierten beim Volksentscheid für ein Rauchverbot in der Gastronomie. Aber Rauchen schadet nicht nur der Gesundheit - es kann auch den Arbeitsplatz kosten, erläutert Rechtsanwalt Jens Möller.

Der Streit zwischen Rauchern und Nichtrauchern beschäftigt die Gerichte schon seit Jahren - es geht um Nichtraucherschutz und fristlose Kündigungen und immer wieder um Raucherpausen. Die Urteile sind höchst unterschiedlich, doch fest steht: Arbeitgeber müssen Raucherpausen nicht gestatten, so Jens Möller, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Dr. Kreuzer und Kollegen in Nürnberg. So versagte das Oberverwaltungsgericht Münster einem Mitarbeiter der Stadt Köln den Anspruch auf regelmäßige Zigarettenpausen (
Az: 1 A 812/08).

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/1_A_812_08beschluss20100329.html

Das Argument: Rauchen sei weder eine Notwendigkeit wie der Gang zur Toilette, noch sei der Konsum von Zigaretten mit einer kurzen Kaffeepause zu vergleichen.

Abmahnung rechtens

Nichtraucher können frohlocken: Seit der Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz im Jahr 2002 gesetzlich verankert wurde, darf ein absolutes Rauchverbot am Arbeitsplatz verhängt werden.

Wer dagegen verstößt und trotzdem qualmt, muss mit einer Abmahnung oder gar der fristlosen Kündigung rechnen: In einem Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Köln verhandelt wurde, hatte der Geschäftsführer einen Lagerarbeiter bei einer heimlichen Zigarette erwischt und eine Abmahnung ausgesprochen - erstens aus Hygienegründen, denn im Lager wurden Lebensmittel gestapelt, zweitens aus Brandschutzgründen. Nur wenige Wochen später rauchte der Lagerist erneut und wurde wieder erwischt. Die ausgesprochene Kündigung war rechtens (
Az: 4 Sa 590/08).

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2008/4_Sa_590_08urteil20080801.html

Sogar eine fristlose Kündigung ist möglich

Im Arbeitsgericht Duisburg wurde die Klage einer langjährigen Mitarbeiterin abgewiesen (
Az.: 3 Ca 1336/09):

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/arbg_duisburg/j2009/3_Ca_1336_09urteil20090914.html

Die Frau hatte wiederholt Pausen im Raucherraum verbracht, ohne sich vorher auszustempeln. Der Arbeitgeber sprach die fristlose Kündigung aus, die Richter bestätigten. Jedoch war die Mitarbeiterin bereits vorher wegen ähnlicher Verstöße mehrfach abgemahnt worden.

Doch was ist, wenn es in einem Unternehmen keine Stechuhren gibt? Darf der Chef Rauchern, wenn sie nicht nur in ihren Pausen, sondern auch während der Arbeitszeit eine Zigarette genießen wollen, automatisch Überstunden aufbrummen? Arbeitsrechtlich ist das nur drin, so Möller, wenn das zuvor mit dem betroffenen Arbeitnehmer ausdrücklich vereinbart wurde.

Raucherpausen sind zulässig - in Grenzen

Auch wenn der Schutz vor Tabakqualm inzwischen modern ist, absolut entrechtet werden Raucher (noch) nicht: Selbst ausgiebige und häufige Raucherpausen, so Rechtsanwalt Möller, rechtfertigen nicht ohne weiteres die Kündigung eines Mitarbeiters.

So gab das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz mit seinem Urteil erst im Januar dieses Jahres der Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmer statt (
Az.: 10 Sa 562/09).

http://www3.justiz.rlp.de/rechtspr/DisplayUrteil_neu.asp?rowguid={BA799557-08AD-4748-9B7D-C9E31FF47B7A}

Der Arbeitgeber hatte mit seinen Mitarbeitern vereinbart, dass sie in Absprache mit Vorgesetzten kurze Raucherpausen einlegen durften, ohne sich an der Stechuhr auszustempeln. Da sich die Raucherpausen eines Mitarbeiters aber fast auf zwei Stunden täglich summierten und auch Abmahnungen keine Wirkung zeigten, kündigte ihm der Arbeitgeber fristlos. Die Richter hielten dies für überzogen und meinten, der Arbeitgeber brauche nur anzuordnen, dass die Mitarbeiter künftig für die Raucherpausen die Stechuhr nutzen müssten, die Pausen bräuchten nicht bezahlt zu werden.

Auch der Nichtraucherschutz wird von deutschen Gerichten schon länger hochgehalten: So hatte der Croupier eines Berliner Spielkasinos verlangt, an einem rauchfreien Roulette-Tisch eingesetzt zu werden. Er klagte und scheiterte in allen Instanzen – bis zuletzt das Bundesarbeitsgericht seiner Klage stattgab (
Az.: 9 AZR 241/08).

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=13608


Gefährlicher Gang

Das Recht auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz beschäftigte auch das Landessozialgericht in Hessen: Ein Firmeninhaber hatte im gesamten Unternehmen das Rauchen erlaubt und auch nicht auf Beschwerden eines Angestellten reagiert. Daraufhin kündigte der nichtrauchende Arbeitnehmer, und die Arbeitsagentur durfte keine Sperrzeit für das Arbeitslosengeld aussprechen - schließlich hatte ein wichtiger Grund für die Kündigung des Arbeitnehmers vorgelegen (
Az.: L6 AL 24/05).

(Volltext nicht mehr im Internet - aber gerettet - siehe unten)

Und selbst der bloße Gang zum Zigarettenautomaten beschäftigt die Gerichte immer wieder - und zwar in Form der strengen Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Wer auf dem Weg zur Kantine stürzt, genießt selbstverständlich Versicherungsschutz - schließlich müssen Mitarbeiter essen und trinken, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Aber was für Lebensmittel gilt, trifft noch lange nicht für Rauchwaren zu, so Arbeitsrechtsexperte Möller. Wer auf dem Weg zum Zigarettenautomaten stürzt, riskiert seinen Versicherungsschutz.

Ulrike Löw 20.7.2010

 


http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/1_A_812_08beschluss20100329.html

Az: 1 A 812/08

 

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 812/08

Datum:

29.03.2010

Gericht:

Oberverwaltungsgericht NRW

Spruchkörper:

1. Senat

Entscheidungsart:

Beschluss

Aktenzeichen:

1 A 812/08

 

 

 

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

 

G r ü n d e

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO liegen auf der Grundlage der maßgeblichen (fristgerechten) Darlegungen des Klägers nicht vor.

3

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Das Antragsvorbringen weckt (ungeachtet der Frage im Einzelnen erfolgter hinreichender Darlegung) solche Zweifel nicht.

4

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage insgesamt, d.h. mit ihren jeweils in einen Haupt- und Hilfsantrag gegliederten Klageanträgen zu 1. und 2. abgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt:

5

Der Klageantrag zu 1., mit welchem der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Einrichtung eines Raucherraumes in dem fraglichen Dienstgebäude (Beschäftigungsort des Klägers) bzw. – hilfsweise – zur Errichtung eines Raucherunterstandes mit Sitzgelegenheit außerhalb dieses Dienstgebäudes begehrt, sei unbegründet. Das Begehren auf Einrichtung eines Raucherraumes könne nicht mit Erfolg auf die Regelung des § 3 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern in Nordrhein-Westfalen (NiSchG NRW) gestützt werden, nach deren Satz 1 abweichend von dem in § 3 Abs. 1 NiSchG normierten grundsätzlichen Rauchverbot und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 NiSchG in den Einrichtungen nach Absatz 1, zu denen auch die Behörden der Kommunalverwaltung zählen, abgeschlossene Räume eingerichtet werden können, in denen das Rauchen gestattet ist. Bei dieser Bewertung könne offen bleiben, ob die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG, nach der ein Anspruch auf die Einrichtung von Raucherräumen nicht besteht, als Ausschluss subjektiver Rechte der betroffenen Raucher oder – für den Kläger günstiger – lediglich als (überflüssige) Klarstellung bestehenden Ermessens der Einrichtungsleitung zu verstehen sei. Denn die mit Zustimmung des Personalrats getroffene Entscheidung der Beklagten, in allen städtischen Dienstgebäuden keine Raucherräume einzurichten, sei frei von Ermessensfehlern. Die vorgenommene Abwägung des den rauchenden Bediensteten zur Seite stehenden Grundrechts der allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit den widerstreitenden Grundrechten der Nichtraucher und mit den sonstigen gegenläufigen Belangen sei nicht zu beanstanden. Die von der Beklagten für ihre Entscheidung angeführten Gründe seien sachgerecht: Ein möglichst umfassender Schutz der Gesundheit der Nichtraucher sei bei der Ausweisung von Raucherräumen in Gebäuden nicht zu erreichen, weil die Tabakrauchkonzentration in der Umgebung solcher Räume unweigerlich steige und zu zumindest belästigenden Auswirkungen führe. Demgegenüber sei es Rauchern regelmäßig zumutbar, zum Rauchen ins Freie zu gehen, so dass den Dienstherrn grundsätzlich nicht die mit Kostenaufwand verbundene Pflicht treffe, Raucherräume einzurichten oder bereitzustellen. Nichts anderes ergebe sich aus dem Vortrag des Klägers, dass im betroffenen Dienstgebäude im obersten Stock ungenutzte Räume zur Verfügung stünden, die beeinträchtigungsfrei als Raucherraum genutzt werden könnten. Denn mit Blick darauf, dass die Einrichtung eines Raucherraumes nicht in allen Dienstgebäuden der Beklagten möglich wäre, könne dem sachgerechten Anliegen der Beklagten, alle ihre Bediensteten bei den Modalitäten des Rauchens während des Dienstes gleich zu behandeln, nur durch die Entscheidung Rechnung getragen werden, überhaupt keine Raucherräume einzurichten. Der behauptete Anspruch folge auch nicht aus § 6 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV). Denn diese die Bereitstellung eines Pausenraums betreffende Regelung besage nichts für die Möglichkeit, in diesem Raum zu rauchen, und begründe auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Rauchern und Nichtrauchern jeweils eigene Pausenräume zur Verfügung zu stellen. Die Frage des Nichtraucherschutzes und eines möglichen allgemeinen Rauchverbotes regele vielmehr § 5 ArbStättV. Das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren der Errichtung eines Raucherunterstandes könne ebenfalls keinen Erfolg haben. Denn in unmittelbarer Nähe des fraglichen Dienstgebäudes stünden solche (im einzelnen benannte) Bereiche zum Rauchen zur Verfügung, die hinreichend gegen Wind und Wetter geschützt seien und auf deren Nutzung die Raucher deshalb auch bei schlechtem Wetter zumutbar verwiesen werden könnten. Für die Schaffung weiterer Bequemlichkeiten gebe es keine Rechtsgrundlage.

6

Der Klageantrag zu 2. sei mit seinem Hauptantrag (Feststellungsbegehren) unbegründet. Der Kläger sei nicht berechtigt, während der Kernarbeitszeit kurze (nicht von der Arbeitszeit erfasste) Rauchpausen zu machen. Das ergebe sich mittelbar als Folge des Zusammentreffens des gesetzlichen Rauchverbots in öffentlichen Einrichtungen mit den allgemein in der Arbeitszeitverordnung (§ 14 Abs. 3 AZVO NRW) und speziell in der Dienstvereinbarung zur gleitenden Arbeitszeit bei der Beklagten (§ 4 Abs. 1 DV GLAZ) getroffenen Regelungen über die Kernarbeitszeit. Während der Kernarbeitszeit müssten alle Bediensteten im Dienst bzw. anwesend sein; das bedeute regelmäßig (abgesehen von unvermeidbaren Toilettengängen) die (telefonische) Erreichbarkeit von außen und Ansprechbarkeit für Kollegen und Vorgesetzte sowie die Befassung mit dienstlichen Angelegenheiten, mindestens aber die jederzeitige Dienstbereitschaft, wie sie regelmäßig durch Anwesenheit am Arbeitsplatz gewährleistet werde. Mit dieser Anwesenheitspflicht seien Arbeitsunterbrechungen wie Rauchpausen außerhalb des Dienstgebäudes vorbehaltlich einer (hier nicht gegebenen) Zulassung durch den Dienstherrn nicht vereinbar. Es komme nicht darauf an, ob diese Rechtslage zu einer Grundrechtsverletzung des Klägers führe. Denn der Kläger wäre bejahendenfalls nicht schon automatisch berechtigt, die Kernarbeitszeit durch Rauchpausen zu unterbrechen, sondern hätte nur einen Anspruch auf eine individuelle Ausnahmeregelung durch die Beklagte. Der auf eine solche Gestattung gerichtete Hilfsantrag sei jedenfalls unbegründet. Das Verbot der Arbeitsunterbrechung während der Kernarbeitszeit wirke sich zwar mittelbar als zeitweiliges Rauchverbot aus und führe insoweit zu einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der rauchenden Bediensteten; dieser Eingriff sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Verbot der Arbeitsunterbrechung während der Kernarbeitszeit, welches nicht nur für Raucher, sondern auch für Nichtraucher gelte, verfolge das legitime Ziel, einen geordneten Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten, und ziele nicht auch auf eine Raucherentwöhnung ab. Die angeordnete Präsenz der Bediensteten während der Kernarbeitszeit sei zur Erreichung des verfolgten Zieles auch geeignet und erforderlich. Ein geordneter Dienstbetrieb wäre bei Zulassung von Kurzpausen außerhalb des Gebäudes während der Kernarbeitszeit nicht in gleicher Weise wie ohne Zulassung gewährleistet, weil die Beamten für einen nicht völlig zu vernachlässigenden Zeitraum, der wegen der Wegezeiten und der für die Bedienung des Zeiterfassungsgeräts und für das Rauchen benötigten Zeit ohne weiteres 10 Minuten und mehr in Anspruch nehmen könne, eventuell sogar mehrmals täglich weder für den Bürger noch für die übrigen Bediensteten zu erreichen wären, obwohl ihre Erreichbarkeit gerade zu dieser Zeit erwartet werde. Auch könne es den Dienstfrieden gefährden, wenn nichtrauchende Kollegen während solcher Abwesenheitszeiten immer wieder für ihre rauchenden Kollegen "einspringen" müssten. Der Umstand, dass andere Verwaltungen Raucherpausen großzügiger zuließen, ändere die Bewertung nicht. Schließlich stelle sich das Verbot der Unterbrechung der Kernarbeitszeit auch unter Berücksichtigung der Rechte der Raucher noch nicht als unangemessen dar. Die Kernarbeitszeiten der Beklagten seien im Vergleich zu anderen Verwaltungen eher kurz bemessen. Den Rauchern werde arbeitstäglich lediglich eine Abstinenz von drei Stunden am Vormittag und von einer Stunde am Nachmittag abverlangt. Zudem ergebe sich aus der neueren Gesetzgebung die Tendenz, es für zumutbar zu erachten, dass Raucher in vielen öffentlichen Bereichen (auch länger) auf den Tabakkonsum verzichten müssen. Abgesehen davon habe die Beklagte mit der Gestattung von Rauchpausen außerhalb der Kernarbeitszeit und mit der Gewährung eines mehrmonatigen Übergangszeitraums dem Übermaßverbot ausreichend Rechnung getragen. Auf die Möglichkeit, trotz bestehender Sucht drei Stunden lang auf den Tabakkonsum zu verzichten, komme es ungeachtet der angebotenen Hilfestellungen nicht an. Denn es gebe keinen Anspruch darauf, ein Suchtverhalten aufrechtzuerhalten, wenn und soweit es die Dienstpflichten des Beamten beeinträchtige.

7

Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich weder aus dem ausdrücklich auf diesen Zulassungsgrund bezogenen Vorbringen (Punkt II. der Zulassungsbegründung) noch (sinngemäß) aus dem weiteren Vortrag, mit welchem die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache behauptet wird (Punkt I. Nr. 1 bis 6 der Zulassungsbegründung).

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Das nach dem Vorstehenden § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzuordnende Zulassungsvorbringen betrifft allein die Abweisung des Klageantrags zu 1. und beschränkt sich dabei ersichtlich darauf, die angefochtene Entscheidung insoweit in Zweifel zu ziehen, als das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf Einrichtung eines Raucherraumes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG verneint hat. Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit dieser Feststellung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag das so einzugrenzende Zulassungsvorbringen schon deshalb nicht zu wecken, weil die bereits erstinstanzlich von der Beklagten angesprochene, vom Verwaltungsgericht offen gelassene und auch vom Zulassungsvorbringen behandelte Frage, ob § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG ein klagbares subjektives Recht einzelner Raucher auf Einrichtung von Raucherräumen ausschließt, bejahend zu beantworten ist

9

– dies ist, soweit ersichtlich, einhellige Auffassung, vgl. Breitkopf/Stollmann, Das Gesetz zum Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2008, 125 ff. (127), und Reich, Nichtraucherschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2008, § 3 Rn. 13 –

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und der behauptete Anspruch des Klägers bereits aus diesem Grund in der genannten (und im Übrigen allein ernsthaft als Anspruchsgrundlage in Betracht zu ziehenden) Vorschrift keine Grundlage finden kann.

11

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG können abweichend von dem in § 3 Abs. 1 NiSchG normierten grundsätzlichen Rauchverbot und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 NiSchG in den Einrichtungen nach Absatz 1, zu denen auch die Behörden der Kommunalverwaltung zählen, abgeschlossene Räume eingerichtet werden, in denen das Rauchen gestattet ist. Allerdings besteht gemäß der hieran anknüpfenden Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG ein Anspruch auf die Einrichtung von Raucherräumen nicht. Diese Regelung ist ihrem Wortlaut nach eindeutig: Ein Anspruch auf die Einrichtung von Raucherräumen, welcher nur den rauchenden Beschäftigten der jeweiligen Einrichtung eingeräumt sein könnte, soll nicht bestehen. Diese Wendung kann nicht dahin verstanden werden, dass die Einrichtung von Raucherräumen bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 NiSchG (Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl von Räumen; ausdrückliche Kennzeichnung dieser Räume als Raucherräume) nicht als gebundene Rechtsfolge vorgesehen ist, sondern im Ermessen der Leitung der Einrichtung steht. Denn es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit einem eigenständigen Satz im Rahmen des § 3 Abs. 2 NiSchG etwas geregelt haben sollte, was sich bereits aus der Kann-Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG (selbstverständlich) ergeben hätte. Außerdem entspricht es gängiger gesetzgeberischer Übung, klagbare subjektive Rechte durch Formulierungen der auch hier gewählten Art auszuschließen. So heißt es etwa in § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB, dass auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen kein Anspruch besteht, und § 123 Abs. 3 BauGB trifft die Regelung: "Ein Rechtsanspruch auf Erschließung besteht nicht". In § 3 Abs. 2 HGrG und wortgleich in § 3 Abs. 2 LHO NRW findet sich die Formulierung, dass durch den Haushaltsplan Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben werden. Bestätigt wird die sich ergebende Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm. In der dem einschlägigen Gesetzentwurf der Landesregierung beigegebenen Einzelbegründung zu dem späteren § 3 Abs. 2 NiSchG wird nämlich ausdrücklich ausgeführt, die Einrichtung einzelner Raucherräume sei nicht zwingend; der Gesetzentwurf stelle "überdies klar, dass ein subjektivrechtlicher Anspruch rauchender Personen auf die Einrichtung solcher Räume nicht besteht".

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Vgl. LT-Drs. 14/4834, S. 20.

13

Deutlich wird dieses Verständnis des historischen Gesetzgebers ferner durch die im Vorspann des Gesetzentwurfs unter Punkt D enthaltene Formulierung, das Land schreibe die Einrichtung von Raucherräumen nicht verpflichtend vor, sondern eröffne "lediglich die entsprechende Option". Dem hier vertretenen Ergebnis der Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG kann nicht der Umstand durchgreifend entgegengehalten werden, dass die Regelung des späteren § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG nach den Gesetzesmaterialien damit begründet worden ist, der Gesetzgeber wahre (mit der Ermöglichung der Einrichtung von Raucherräumen) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, und insoweit werde eine Interessenabwägung zwischen dem vorrangigen Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern vor Gesundheitsgefährdungen und den persönlichen Interessen von Raucherinnen und Rauchern vorgenommen.

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Vgl. LT-Drs. 14/4834, S. 19 f.

15

Zwar trifft insoweit die Überlegung des Verwaltungsgerichts zu, dass diese Begründung gegen ein rein objektiv-rechtliches Verständnis des § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG spricht und insoweit im Widerspruch zu der dargestellten Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG steht, weil der mit § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG nach der beigefügten Begründung verfolgte Zweck, die "Verhältnismäßigkeit des Eingriffs" zu wahren, die Annahme begründen dürfte, diese Norm solle (auch) dem Grundrechtsschutz der Raucherinnen und Raucher dienen. Dieses Motiv des historischen Gesetzgebers hat aber in dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG keinen Niederschlag gefunden und kann deshalb nicht dazu dienen, den in § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG nach dem Vorstehenden eindeutig verlautbarten gesetzgeberischen Willen gleichsam hinweg zu interpretieren. § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG trifft nämlich allein die Regelung, dass die fraglichen Räume eingerichtet werden "können", was ohne weiteres in einem objektiv-rechtlichen, nur dem Leiter der jeweiligen Einrichtung eine entsprechende Befugnis zuweisenden Sinn verstanden werden kann (und bei systematischer, § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG in den Blick nehmender Auslegung auch so verstanden werden muss). Insoweit ist im Übrigen ferner von Belang, dass § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG auch nicht etwa eine Aussage zu der Frage einer Antragstellung (der betroffenen Raucherinnen und Raucher) enthält.

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Das Zulassungsvorbringen vermittelt aber auch dann keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der o.g. Feststellung des Verwaltungsgerichts, wenn hier hilfsweise – dem Verwaltungsgericht folgend – unterstellt wird, § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG gewähre einem Raucher zumindest einen Anspruch gegen den Leiter der betroffenen Einrichtung darauf, dass dieser über sein – des Rauchers – Begehren auf Einrichtung eines Raucherraumes ermessensfehlerfrei entscheidet.

17

Allerdings kann dem Zulassungsvorbringen im Ausgangspunkt insoweit gefolgt werden, als danach der Leiter der Einrichtung in einem solchen Fall sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (vgl. § 40 VwVfG NRW).

18

Vgl. insoweit auch Reich, a.a.O., § 3 Rn. 7 (S. 78).

19

Ferner trifft es zu, dass die Befugnisnorm des § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG keine ausdrücklichen Vorgaben für die Betätigung des Ermessens enthält. Hieraus kann allerdings nicht unter Berufung auf die Gesetzesbegründung, es werde (durch die Schaffung dieser Regelung) eine Interessenabwägung zwischen dem Nichtraucherschutz und den persönlichen Interessen der Raucherinnen und Raucher vorgenommen, abgeleitet werden, dass der Leiter der Einrichtung nur an diesen Interessen orientierte Gesichtspunkte in seine Ermessensentscheidung einstellen darf. Zum einen betrifft diese Aussage in der Gesetzesbegründung nicht eine etwa erforderlich werdende Ermessensentscheidung des Leiters der Einrichtung, sondern skizziert erkennbar allein das Motiv für die gesetzliche Regelung ("wird vorgenommen" statt "ist vorzunehmen"). Zum anderen und vor allem lassen § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG und auch die Gesetzesbegründung im Übrigen nicht erkennen, dass der Leiter der Einrichtung gehindert sein soll, Aspekte des Nichtraucherschutzes sowie naheliegende Belange der Einrichtung bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Dies muss umso mehr gelten, als nach § 1 Abs. 2 NiSchG weitergehende Rauchverbote aufgrund von Befugnissen, die mit dem Eigentum oder dem Besitzrecht verbunden sind, durch die Regelungen des Nichtraucherschutzgesetzes nicht berührt werden und es deshalb dem Leiter der Einrichtung auch danach nicht verwehrt sein kann, ein striktes Rauchverbot ohne jede (räumliche) Ausnahme auszusprechen.

20

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der von der Beklagten angestrebte umfassende Schutz der Nichtraucher stelle einen sachgerechten Grund für die Nichtzulassung eines Raucherraumes dar, erweist sich auch im Lichte des speziell hierauf bezogenen Zulassungsvorbringens nicht als ernstlich zweifelhaft. Schon mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen ist nicht ersichtlich, weshalb der genannte Gesichtspunkt, einen umfassenden Nichtraucherschutz erreichen zu wollen, den Zweck der Ermächtigung verfehlen sollte. Zwar gewährt der Gesetzgeber die Möglichkeit, Raucherräume einzurichten, und setzt damit voraus, dass ein hinreichender Schutz der Nichtraucher durch die Abtrennung gewährleistet werden kann und eine vollständige Abschottung des Raucherraumes nicht erforderlich ist; da das Gesetz aber insgesamt den Schutz von Nichtrauchern als vorrangig (vgl. insbesondere §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Satz 1 NiSchG) und deshalb die Einrichtung von Raucherräumen nur als (räumliche) Ausnahme vom allgemeinen Rauchverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 NiSchG betrachtet, kann die Versagung der (möglichen) Einrichtung eines Raucherraumes durchaus mit der Begründung erfolgen, es werde in der Einrichtung nicht nur ein hinreichender, sondern ein optimaler Nichtraucherschutz angestrebt. Auch der Einwand des Klägers, wegen der Lage der von ihm als Raucherraum vorgeschlagenen, derzeit nicht genutzten Kantine in dem "oberen" (gemeint ist: obersten) Stockwerk des Dienstgebäudes könne davon ausgegangen werden, dass es nicht zu Beeinträchtigungen (der Nichtraucher) kommen werde (und damit sogar ein optimaler Nichtraucherschutz gewährleistet sei), greift nicht durch. Denn auch dann, wenn man zugrundelegt, dass Rauch grundsätzlich nicht nach unten abzieht, sind die befürchteten Beeinträchtigungen der Nichtraucher durch eine erhöhte Tabakrauchkonzentration in der Umgebung dieses Raumes keinesfalls auszuschließen. Zum einen würde sich in dem Raucherraum produzierter Tabakrauch jedenfalls dann durch vielfaches Öffnen und Schließen der Türe(n) zu diesem Raum und die entsprechenden Bewegungen der (nach Schätzung des Klägers in der Klageschrift: 200 bis 300) Raucher auf der betroffenen Etage und auch darunter ausbreiten können, wenn die Fenster dieses Raumes etwa witterungsbedingt geschlossen gehalten würden und der Rauch deshalb nicht anderweitig (vollständig) abziehen könnte. Zum anderen könnte der Rauch auch jederzeit durch Zugluft weiter im Gebäude verteilt werden. Schließlich ist der Grund umfassenden Nichtraucherschutzes auch nicht, wie der Kläger in der Zulassungsbegründung meint, nur vorgeschoben. Zwar hat der Kläger insoweit geltend gemacht, dass die Beklagte selbst in dem fraglichen Dienstgebäude einen Raucherraum zugelassen habe, nämlich in der Etage für die Mitarbeiter der ARGE; dies trifft aber nach der überzeugenden und unwidersprochen gebliebenen Erwiderung der Beklagten im Schriftsatz vom 5. Juni 2008 nicht zu. Denn hiernach ist die in Rede stehende Etage von der ARGE angemietet worden. Dies hat zur Folge, dass dort nach dem bestehenden Mietvertrag die ARGE und nicht etwa die Beklagte das Hausrecht insoweit ausübt und dass letztere mithin derzeit keinen Einfluss darauf hat, ob den dort Beschäftigten das Rauchen erlaubt wird oder nicht (§ 1 Abs. 2 NiSchG).

21

Die weitere Feststellung des Verwaltungsgerichts, die versagende Entscheidung habe sachgerecht auch auf die Erwägung gestützt werden können, die begehrte Einrichtung eines Raucherraumes im fraglichen Dienstgebäude hätte, da in (einigen) anderen Dienstgebäuden der Beklagten keine geeigneten Räume zur Verfügung stünden, eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung der städtischen Bediensteten (je nach Unterbringung in einem bestimmten Dienstgebäude) zur Folge, wird durch das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Dieser (allein auf Ermessensebene relevante) Ermessensgesichtspunkt ist als solcher nicht zu beanstanden. Namentlich ist nicht, wie der Kläger meint, lediglich eine "gebäudebezogene" Betrachtungsweise zulässig. Diese Ansicht findet im Gesetz keine Stütze. Danach ist es vielmehr so, dass als Einrichtung nicht etwa das konkrete, jeweils in Rede stehende Dienstgebäude des Dienstherrn, sondern die Behörde der Kommunalverwaltung insgesamt zu verstehen ist: § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG verweist auf Einrichtungen nach Absatz 1, und § 3 Abs. 1 NiSchG nimmt u.a. Einrichtungen nach § 2 Nr. 1 lit. a NiSchG in Bezug. In der zuletzt genannten Vorschrift aber ist normiert, dass Öffentliche Einrichtungen im Sinne dieses Gesetzes Behörden der Landes- und Kommunalverwaltung sind. Ferner kann die Ansicht des Klägers auch nicht auf die Gesetzesbegründung gestützt werden. Wenn der historische Gesetzgeber dort nämlich auf die "räumlichen Verhältnisse" abstellt

22

– vgl. LT-Drs. 14/4834, S. 19 –,

23

so geschieht dies ersichtlich bezogen auf die in § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 NiSchG normierte tatbestandliche Voraussetzung, nicht aber im Hinblick auf eine Ermessensausübung. Denn an der soeben zitierten Stelle der Gesetzesbegründung heißt es, dass dort, wo die räumlichen Verhältnisse es zulassen, abgetrennte und besonders gekennzeichnete Räume eingerichtet werden können, in denen geraucht werden darf. Vor diesem Hintergrund greift auch das für eine "gebäudebezogene" Betrachtung angeführte Argument des Klägers nicht durch, für den konkret bezweckten Nichtraucherschutz innerhalb eines Dienstgebäudes sei es unerheblich, ob ein Nichtraucherschutz auch in anderen Gebäuden eines Dienstherrn möglich sei. Abgesehen davon verkennt dieses Argument, dass der von der Beklagten ins Feld geführte Ermessensgesichtspunkt nicht vorrangig den beabsichtigten Nichtraucherschutz betrifft (insoweit könnten sich Unterschiede nur hinsichtlich des Grades des Schutzes – hinreichend oder optimal – ergeben), sondern im Wesentlichen auf eine gleichmäßige Handhabung der ausnahmsweisen Ermöglichung des Rauchens für alle rauchenden Bediensteten abzielt. Hiermit ist zugleich gesagt, dass es entgegen dem Zulassungsvorbringen keinesfalls "unklar" ist, worin die angestrebte Gleichbehandlung bestehen soll.

24

Schließlich ist – auch in Ansehung der Gesetzesbegründung, nach welcher die Einrichtung von Raucherräumen regelmäßig keine oder nur geringe Kosten verursachen werde – nicht erkennbar, dass Kostengesichtspunkte, die vorliegend im Übrigen für die getroffene Ermessensentscheidung erkennbar nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, nicht in eine nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG etwa zu treffende Ermessensentscheidung des Leiters der Einrichtung eingestellt werden dürften. Zum einen haben die Erwägungen aus der Gesetzesbegründung keinerlei Niederschlag in der Gesetzesfassung gefunden; zum anderen dürfte es sich von selbst verstehen, dass eine dem Grundsatz der Sparsamkeit verpflichtete Behörde auch Kostengesichtspunkte bei der Entscheidung über eine in ihrem Ermessen stehende Gewährung einer vom Gesetz nur ausnahmsweise zugelassenen Leistung berücksichtigen darf und muss. Abgesehen davon greifen die Kostenüberlegungen des historischen Gesetzgebers auch zu kurz, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Denn nicht nur die Einrichtung der leerstehenden Kantine als Raucherraum würde (geringe) Kosten verursachen, sondern auch deren dann wieder erforderliche regelmäßige Reinigung durch entsprechendes Personal.

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Die mit Schriftsatz vom 3. Juli 2008 von dem Kläger aufgestellte, sinngemäß wohl der erstinstanzlichen Entscheidung über den Hilfsantrag zu dem Klageantrag zu 1. und insoweit dem Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzuordnende Behauptung einer Begünstigung solcher Mitarbeiter der Beklagten, die einen überdachten Raucherbereich des Restaurants "I.              " nutzen könnten, greift ebenfalls nicht durch. Zum einen ist dieser neue Vortrag nicht fristgerecht, sondern erst nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist geleistet worden. Zum anderen liegt die behauptete Ungleichbehandlung rauchender Bediensteter der Beklagten durch Vorhalten bzw. Nichteinrichtung eines überdachten Raucherbereichs ersichtlich nicht vor. Denn nach deren unwidersprochen gebliebener Erwiderung mit Schriftsatz vom 16. Juli 2008 wird dieses Restaurant nicht von der Beklagten, sondern von der L.         Management GmbH betrieben.

26

2. Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Wird der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht, so muss regelmäßig eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage bezeichnet werden, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die grundsätzlich bedeutsame Frage muss im Urteil des Verwaltungsgerichts zum entscheidungstragenden Begründungsteil gehören. Klärungsbedürftig können daher nur Rechts- oder Tatsachenfragen sein, die die Vorinstanz entschieden hat, nicht jedoch solche, die sich erst stellen würden, wenn das Verwaltungsgericht anders entschieden hätte. Die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage ist nicht schon dann zu bejahen, wenn diese noch nicht ober- oder höchstrichterlich entschieden ist. Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine ober- bzw. höchstrichterliche Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln und auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.

27

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn. 127, 142 f., 152 und 154, jeweils m.w.N.

28

Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen unter Punkt I. 1. bis 7. insgesamt nicht. Soweit der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit dem Hinweis auf das Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzes NRW erst am 1. Januar 2008 sowie damit begründen will, dass das angefochtene Urteil als erste zu diesem Gesetz ergangene Entscheidung Neuland zu einer Vielzahl von Fragen betreten habe, fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage.

29

Die von dem Kläger unter I.1. aufgeworfene Rechtsfrage,

30

ob die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG einem einzelnen Raucher einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einrichtung eines Raucherraums gewährt,

31

kann schon deshalb nicht zu der begehrten Zulassung der Berufung führen, weil das Verwaltungsgericht die Frage, ob § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG mit Blick auf § 3 Abs. 2 Satz 5 NiSchG rein objektiv-rechtlich zu verstehen ist oder aber zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gewährt, ausdrücklich nicht entschieden, sondern zugunsten des Klägers unterstellt hat, dass der Vorschrift ein solcher (hier allerdings bereits fehlerfrei erfüllter) Anspruch zu entnehmen ist. Abgesehen davon haben die entsprechenden Ausführungen des Senats zum Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel gezeigt, dass diese Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln unschwer beantwortet werden kann.

32

Die von dem Kläger unter I.2. aufgeworfene Rechtsfrage,

33

ob ein Dienstherr angesichts der in §3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 NiSchG genannten Voraussetzungen für die Einrichtung eines Raucherraums auch unabhängig von den dort genannten räumlichen Voraussetzungen im Rahmen seines Ermessens die Einrichtung von Raucherräumen ablehnen kann,

34

kann ebenfalls bereits ohne weiteres auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts beantwortet werden. Denn schon nach der Struktur des § 3 Abs. 2 NiSchG, nach welchem Raucherräume eingerichtet werden "können", wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 NiSchG gegeben sind, liegt es auf der Hand, dass das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen noch nicht zu einer Bindung des Leiters der Einrichtung in Richtung auf eine Einrichtung des begehrten Raumes zu führen vermag. Soweit mit der formulierten Frage – nicht aus ihr selbst, sondern (unzureichend) nur aus der beigegebenen Begründung ersichtlich – auch die Frage aufgeworfen werden soll, ob die von der Beklagten ins Feld geführten Ermessensgesichtspunkte in eine Ermessensentscheidung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG eingestellt werden dürfen, verweist der Senat auf seine entsprechenden Ausführungen zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, nach welchen die Antwort auch insoweit unschwer dem Gesetz entnommen werden kann.

35

Auch die von dem Kläger unter I.3., I.4., I.5. und I.6. aufgeworfenen Rechtsfragen,

36

ob ein Dienstherr trotz der gesetzlichen Wertung in §3 Abs. 2 NiSchG, durch eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern in geschlossenen Gebäuden lasse sich ein Nichtraucherschutz gewährleisten, unabhängig von den räumlichen Gegebenheiten die Einrichtung von Raucherräumen mit der Erwägung ablehnen kann, ein Nichtraucherschutz lasse sich nur durch ein absolutes Rauchverbot realisieren,

37

ob die Entscheidung des Dienstherr über die Einrichtung von Raucherräumen nach § 3 Abs. 2 NiSchG gebäudebezogen oder bezogen auf sämtliche Dienstgebäude eines Dienstherrn zu treffen ist,

38

ob die Einrichtung von Raucherräumen vom Dienstherrn mit den dafür erforderlich werdenden Kosten nach § 3 Abs. 2 NiSchG gebäudebezogen oder bezogen auf sämtliche Dienstgebäude eines Dienstherrn zu treffen ist, und

39

ob die Gleichbehandlung aller Mitarbeiter eines Dienstherrn ein zulässiger Ermessensgrund im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 NiSchG für die Ablehung der Einrichtung von Raucherräumen sein kann,

40

beantworten sich, wie die entsprechenden obigen Ausführungen des Senats zum Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel bereits verdeutlicht haben, ohne weiteres auf der Grundlage der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften.

41

Der Kläger hat schließlich nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen die von ihm unter I.7. aufgeworfene Rechtsfrage,

42

wie der Begriff der Kernarbeitszeit zu verstehen ist und ob dieser kurze Rauchpausen ausschließt,

43

entscheidungserheblich gewesen und klärungsbedürftig sein soll. Die so formulierte Frage geht bereits an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbei, weil dort unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten überzeugend und vom Kläger unwidersprochen zugrundegelegt wird, dass der Kläger für das Rauchen einer Zigarette im Freien ohne weiteres 10 Minuten und mehr benötige; insoweit kann aber von einer "kurzen Rauchpause" ersichtlich nicht mehr die Rede sein. Es liegt außerdem auf der Hand, dass der Dienstherr im Rahmen seines Direktionsrechts entscheiden kann, wann die Bediensteten ihre gesetzlich bzw. tarifrechtlich vorgeschriebenen Pausen machen dürfen, soweit er sich – wie hier – an die gesetzlichen bzw. tarifrechtlichen Vorgaben hält. Ferner ist offensichtlich, dass der Dienstherr anordnen kann, dass während der Kernarbeitszeit (Kernzeit i.S.v. § 14 Abs. 3 lit. c) AZVO NRW) Arbeitsunterbrechungen durch (Kurz-)Pausen nicht zulässig sind, um eine weitestgehende Erreichbarkeit der Bediensteten für Bürger, Kollegen und Vorgesetzte und damit insgesamt einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu gewährleisten. Es ist auch ohne weiteres klar, dass die eigenmächtige Inanspruchnahme einer (Kurz-)Pause, die etwa dem "Blick in die Tageszeitung" dient oder als "Kaffeepause" ausgestaltet wird, im Verlauf der Kernarbeitszeit, während derer nach Anordnung des Dienstherrn Pausen gerade nicht gestattet sind, nicht zulässig sein kann und einen Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht darstellt. Umgekehrt ist offensichtlich, dass "ein auch privates Gespräch mit Kollegen auf dem Flur" oder die Einnahme eines (mitgebrachten oder etwa im Dienstzimmer zubereiteten) Getränks jedenfalls dann keine unzulässige Arbeitsunterbrechung in diesem Sinne darstellen, wenn diese Aktivitäten keine nennenswerte Zeit in Anspruch nehmen. Schließlich kann eine Rauchpause offensichtlich nicht dem "Gang zur Toilette" gleichgestellt werden. Bei letzterem handelt es sich grundsätzlich um eine Arbeitsunterbrechung, die einem allenfalls bedingt steuerbarem und aus gesundheitlichen Gründen auch nicht aufschiebbaren menschlichem Grundbedürfnis geschuldet ist. Sein Rauchverhalten hingegen kann zumindest ein solcher Beamter ohne weiteres in der erforderlichen Weise steuern, welchem es – wie dem Kläger (vgl. die Feststellung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, UA S. 21, vorletzter Absatz) – nicht suchtbedingt unmöglich ist, für die Dauer der Kernarbeitszeiten auf den Tabakkonsum zu verzichten.

44

3. Die Rechtssache weist schließlich keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Namentlich der Umfang der Ausführungen, mit denen der Senat die Darlegungen des Klägers zu den ausdrücklich geltend gemachten Zulassungsgründen und insbesondere zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu bescheiden hat, deutet nicht auf derartige Schwierigkeiten. Er ist vielmehr ausschließlich der Fülle der insgesamt nicht zielführenden und teilweise auch ungeordneten Darlegungen des Klägers geschuldet.

45

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

46

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1, 47 Abs. 1 und 3 GKG.

47

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der Streitwertfestsetzung – gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtkräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

48

 


http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2008/4_Sa_590_08urteil20080801.html

Az: 4 Sa 590/08

 

Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 590/08

Datum:

01.08.2008

Gericht:

Landesarbeitsgericht Köln

Spruchkörper:

4. Kammer

Entscheidungsart:

Urteil

Aktenzeichen:

4 Sa 590/08

 

Vorinstanz:

Arbeitsgericht Bonn, 1 Ca 2399/07

Schlagworte:

Kündigung wegen Verstoßes gegen Rauchverbot

Normen:

§ 1 KSchG, § 6 KSchG

Sachgebiet:

Arbeitsrecht

Leitsätze:

Rauchen in einem Bereich eines Lebensmittel-Betriebes, in dem ein Rauchverbot gilt, kann jedenfalls nach wiederholter Abmahnung eine ordentliche Kündigung auch bei langer Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers rechtfertigen.

 

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 28. Februar 2008

- 1 Ca 2399/07 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d

1

Die Parteien streiten über eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung.

2

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 1 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

3

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Gegen dieses ihm am 09.04.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.05.2008 Berufung eingelegt und diese am 05.06.2008 begründet.

4

Er beruft sich zunächst auf § 2 Ziffer 10 BMTV für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Süßwarenindustrie, der – das bestreitet die Beklagte nicht – aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit zwischen den Parteien gilt. Der Kläger meint, die Ausnahmen des § 2 Ziffer 10 a bis f BMTV griffen im vorliegenden Fall nicht, so dass die ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei.

5

Der Kläger meint darüber hinaus, § 40 Ziffer 3 der Arbeitsordnung (Bl. 115 ff. d. A.). verbiete das Rauchen im Lager nicht, da dieses kein Produktionsraum sei. Ein Verbot in anderen Teilen sei bis zum Ausspruch der Kündigung nicht ergangen. Jedenfalls sei das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG bei einer solchen Regelung nicht eingehalten. Deshalb – so meint der Kläger – seien auch schon die vorausgegangenen Abmahnungen zu Unrecht ergangen. Frühere Abmahnungen wegen anderer Verstöße seien auch nicht mehr relevant, weil der Kläger bis Februar 2005 Alkoholiker gewesen sei und im Februar 2005 nach einer Entzugsmaßnahme trocken geworden sei.

6

Schließlich meint der Kläger, sein Verhalten müsse weniger gravierend gewichtet werden, weil die Beklagte ihrerseits bei Hygienefragen fehlende oder falsche Maßnahmen anwende. Er verweist darauf, dass die Beklagte zum Fangen von Mäusen einen Kammerjäger einsetze und zusätzlich der Mitarbeiter L pro Woche etwa 20 Mäuse auf einem Pappdeckel mit Klebstoff fange. Die Mäuse würden oft nicht sofort gefunden und blieben in verwesten Zustand dort.

7

Zigarettenrauch sei vergleichsweise unschädlich. Dies gelte erst recht, wenn man berücksichtige, dass im Lager wie im Keller sämtliche Lebensmittel fest in Plastiktüten verschlossen seien und die Plastiktüten sich in mit Klebestreifen verschlossenen Kartons befänden.

8

Auch würden mit einem motorbetriebenen Stapler Waren regelmäßig sortiert.

9

Schließlich habe er, der Kläger, am 27.07.2007 wegen zahlreicher aufgrund des zu erwartenden Audits des Kunden anstehender Arbeiten die Pausenzeit durcharbeiten müssen.

10

Schließlich äußert der Kläger Zweifel, ob die Antwort des Betriebsrats vom 14.08.2007 bereits endgültig gewesen sei. Der Betriebsrat habe sich in diesem Schreiben ausdrücklich eine anderweitige Entscheidung nach Anhörung des Klägers vorbehalten. Die Beklagte – so der Kläger – habe deshalb mit dem Ausspruch der Kündigung entsprechend warten müssen.

11

Der Kläger beantragt,

12

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 28.02.2008 – 1 Ca 2399/07 – nach den Schlussanträgen des Klägers in erster Instanz zu entscheiden.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

16

Zur Arbeitsordnung beruft sie sich darauf, dass nach dem gemeinsamen Verständnis aller Betriebsangehörigen zu den Produktionsräumen der gesamte Lebensmittelbereich zähle, also alle Räume mit Ausnahme der Verwaltung und der Außenbereiche (Hof und Parkplätze). Das strikte Rauchverbot gelte daher unstrittig seit vielen Jahren mit Zustimmung des Betriebsrats auch im Lagerbereich. Die Beklagte beruft sich ferner darauf – was aufgrund des erstinstanzlichen Vortrags unstreitig ist -, dass auch das Fertigwarenlager durch entsprechende nicht übersehbare Symbole gekennzeichnet sei.

17

Im Übrigen sei der Kläger dort angetroffen worden, wo Fertigwaren und Rohstoffe gelagert und – im Kellergeschoss – auch verarbeitet würden. In diesem Bereich würden Mandeln veredelt, der dabei entstehende Mandelstaub sei explosionsgefährdet. Schließlich diene das Rauchverbot nicht nur dem lebensmittelrechtlichen Kontaminationsschutz, sondern auch dem Brandschutz, da im Lager auch leicht entflammbare Verpackungen lagerten.

18

Schließlich sei es für sie, die Beklagte, schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum der Kläger nicht den Aufenthaltsraum, der – das ist unstreitig – unmittelbar an das Lager grenze und in dem Rauchen gestattet sei, zum Rauchen genutzt habe.

19

Soweit der Kläger sich auf die Mäuseplage berufe, so treffe seine Behauptung nicht zu und erfolge ins Blaue hinein, dass die Mäuse teilweise tagelang in verwestem Zustand liegen blieben.

20

Was den Gabelstapler anbelange, so würden – das bestreitet der Kläger nicht – innerhalb des Lagers Elektrohubwagen verwendet. Ein gasbetriebener Stapler sei für den Transport von Paletten auf dem Hof bestimmt.

21

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

22

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

23

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

24

Die Kammer folgt zunächst den ausführlich begründeten und überzeugenden Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts und sieht deshalb von einer erneuten Darstellung dieser Gründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

25

Im Hinblick auf die Argumente der Berufung sei Folgendes ergänzt:

26

1. Der Kläger beruft sich zunächst auf § 2 Ziffer 10 BMTV für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Süßwarenindustrie und ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm nur außerordentlich kündigen können.

27

a) Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel, ob angesichts der Regelung des § 6 KSchG der Kläger diesen Unwirksamkeitsgrund noch geltend machen kann (vgl. BAG, 08.11.2007 – 2 AZR 314/06 -). Auch auf einen insoweit fehlenden Hinweis des Arbeitsgerichts § 6 S. 2 KSchG könnte der Kläger sich nach Auffassung der Kammer nicht berufen, da diese Hinweispflicht nach zutreffender Auffassung (vgl. APS/Ascheid, § 6 KSchG Rn. 22; ErfK-Kiel, § 6 KSchG Rn. 6 m. w. N.) nicht bedeutet, dass das Arbeitsgericht von sich aus alle denkbaren Unwirksamkeitsgründe vom Amts wegen abfragen müsste. Die Hinweispflicht knüpft vielmehr an die konkrete prozessuale Situation an, so dass sie erst dann eintritt, wenn aus dem Parteivortrag konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass andere Unwirksamkeitsgründe erkennbar in Betracht kommen. Der Kläger hatte erstinstanzlich nicht zur Tarifbindung der Parteien vorgetragen, geschweige denn auf einen konkreten Tarifvertrag Bezug genommen.

28

b) Davon abgesehen aber ist die Kündigung nicht nach § 2 Ziffer 10 BMTV unwirksam. Denn der Ausschluss der ordentlichen Kündigung gilt nach Ziffer 10 S. 2 b) nicht bei Kündigungen mit Zustimmung des Betriebsrats.

29

Im vorliegenden Fall hatte der Betriebsrat mit Schreiben vom 14.08.2007 auf den Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung vom 08.08.2007 wie folgt geantwortet:

30

"Sehr geehrte Herren,

31

hiermit teilen wir Ihnen mit, dass der Betriebsrat Ihrem oben genannten Antrag zustimmt.

32

Allerdings befindet sich Herr R bis zum 26.08.07 in Urlaub, wodurch eine persönliche Anhörung zur Zeit nicht möglich ist.

33

Der Betriebsrat wird diese umgehend nach der Wiederkehr des Herrn R durchführen. Sollte Herr R dem Vorwurf, der zu Ihrem oben genannten Antrag geführt hat, widersprechen, behält sich der Betriebsrat vor, seine Entscheidung, der Kündigung zuzustimmen, neu zu überdenken."

34

Aus dem Zusammenhang dieser Erklärung ergibt sich eindeutig, dass der Betriebsrat dem Ausspruch der Kündigung zustimmt. Der Betriebsrat verweist nämlich darauf, dass Herr R bis zum 26.08.2007 in Urlaub sei, weshalb eine Anhörung Herrn R zur Zeit nicht möglich sei. Der Betriebsrat gibt das Antragsdatum der Beklagten mit 08.08.2007 indes selbst an. Danach war für alle Beteiligten offensichtlich, dass der 26.08.2007 weit außerhalb der Wochenfrist des § 102 BetrVG lag. Hätte der Betriebsrat seine Zustimmung nicht geben wollen, so hätte er das problemlos erklären können. Er hat sie indes ausdrücklich gegeben und sich nur vorbehalten, seine Entscheidung nach Anhörung des Klägers "neu zu überdenken". Der Betriebsrat ging damit ersichtlich davon aus, dass die Kündigung bis dahin auch mit seiner Zustimmung ausgesprochen sein werde. Er hat auch insbesondere nicht vom Arbeitgeber verlangt, bis zur Rückkehr des Arbeitnehmers zu warten. Zum Zeitpunkt der Kündigung lag damit eindeutig die Zustimmung des Betriebsrats vor. Dahinstehen kann dabei, dass der Betriebsrat sie tatsächlich zu keiner Zeit "widerrufen" hat.

35

2. Aus den gleichen Gründen war die Stellungnahme des Betriebsrats vom 14.08.2007 auch als abschließende Stellungnahme im Sinne des § 102 S. 2 BetrVG zu verstehen. Die Stellungnahmefrist lief am nächsten Tag ab. Aus dem Kontext ergibt sich klar, dass bis zu diesem Tage eine weitere Äußerung des Betriebsrats nicht mehr folgen werde. Für den Arbeitgeber war das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 2 BetrVG mit dieser Stellungnahme des Betriebsrats abgeschlossen, so dass die Kündigung – wie geschehen – am 15.08.2007 ausgesprochen werden konnte.

36

3. Die Kündigung ebenso wie die vorangegangene Kündigung vom 04.07.2006 und die Abmahnung vom 24.04.2006, die beide ebenfalls deshalb ausgesprochen worden waren, weil der Kläger rauchend im Fertigwarenlager angetroffen wurde, verstießen nicht gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (vgl. dazu BAG 19.01.1999 – 1 AZR 499/98 –), so dass sie nach der Theorie der individuellen Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. dazu z. B. BAG 29.01.2008 – 3 AZR 42/06 – unter II 2.) unwirksam wären.

37

a) Wiederum ist die Kammer der Auffassung, dass ein solcher Unwirksamkeitsgrund nach § 6 KSchG nicht mehr zu berücksichtigen wäre. Der erstinstanzliche Sachvortrag der Parteien gab keinen Anlass, auf einen solchen möglichen Unwirksamkeitsgrund hinzuweisen. Der Kläger hatte vielmehr erstinstanzlich (Schriftsatz vom 22.01.2008, Bl. 61 d. A.) selbst ausdrücklich vorgetragen:

38

"Es entspricht den Tatsachen, dass die im Betrieb der Beklagten geltende Arbeitsordnung ein umfassendes Rauchverbot in allen Produktionsräumen, insbesondere im Fertigwarenlager, wo die Rohstoffe für die Produktion in verpackter Form gelagert sind, vorsieht."

39

b) Unabhängig davon indes lässt sich ein Verstoß des Rauchverbots in dem Fertigwarenlager gegen ein Mitbestimmungsrecht nicht feststellen. Es ist durch § 40 Nr. 3 der Arbeitsordnung abgedeckt.

40

Unstreitig ist die Arbeitsordnung als Betriebsvereinbarung erlassen worden. § 40 Nr. 3 der Arbeitsordnung regelt Folgendes:

41

"Das Rauchen ist aufgrund der Unfallverhütungs-Vorschriften grundsätzlich in allen Produktionsräumen verboten.

42

In anderen Betriebsteilen kann das Rauchen im Interesse von Mitarbeitern und Kunden ganz oder teilweise untersagt werden."

43

Der Kläger vertritt zweitinstanzlich ersichtlich die Auffassung, dass das Fertigwarenlager nicht zu den Produktionsräumen gehöre.

44

Dem gegenüber hat die Beklagte vorgetragen, nach dem gemeinsamen Verständnis aller Betriebsangehörigen zählten zu den Produktionsräumen der gesamte Lebensmittelbereich, also alle Räume mit Ausnahme der Verwaltung und der Außenbereiche (Hof und Parkplätze). Das strikte Rauchverbot gelte daher unstreitig seit vielen Jahren mit Zustimmung des Betriebsrats auch im Lagerbereich.

45

Betriebsvereinbarungen sind normativ auszulegen: Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut und dem dadurch vermittelten Wortsinn. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Damit sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine tatsächliche Übung herangezogen werden. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, der zu einer gesetzeskonformen, sachgerechten und praktisch handhabbaren Regelung führt (hier zitiert nach BAG, 19.10.2005 – 7 AZR 32/05 -).

46

aa) Der Wortlaut ist nicht eindeutig. Je nach Zusammenhang könnten Lagerräume von Produktionsräumen unterschieden werden. Auch in der juristischen Sprache fehlt es indes auch nicht an Beispielen, in denen Lagerräume zu den Produktionsräumen gezählt werden: So ist z. B. im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12.11.1992 (C 209/91) in der Darstellung der Vorlagefragen von "Produktionsräumen einschließlich verschließbarer Lagerräume" die Rede.

47

bb) Die Systematik der Arbeitsordnung spricht eher dafür, dass das Fertigwarenlager zu den Produktionsräumen gehört. Dort wird nämlich das Rauchverbot mit "Unfallverhütungsvorschriften" in Verbindung gebracht, während für die anderen Betriebsteile von "Interessen von Mitarbeitern und Kunden" die Rede ist. Offenbar wird differenziert zwischen Räumen, in denen körperlich gearbeitet wird, wobei durch brennende Zigaretten in der Hand von Arbeitenden Unfälle entstehen können und Räumen, in denen dieses nicht der Fall ist, in denen vielmehr nur andere Mitarbeiter und Kunden durch das Rauchen gestört oder geschädigt werden können.

48

Aufgrund der verrichteten körperlichen Arbeit in Lagerräumen erscheinen diese daher als den Produktionsräumen und nicht den "anderen Betriebsteilen" zugehörig.

49

cc) Schließlich aber ist die tatsächliche Übung klar: Es ist unstreitig, dass seit langer Zeit durch Symbole gekennzeichnet auch im Fertigwarenlager ein Rauchverbot gilt. Der Betriebsrat hat weder bei der ersten noch bei der zweiten Kündigung das Rauchverbot in irgendeiner Weise in Frage gestellt. Der Kläger hat erstinstanzlich selbst vorgetragen, dass die geltende Arbeitsordnung ein umfassendes Rauchverbot in allen Produktionsräumen, insbesondere im Fertigwarenlager, wo die Rohstoffe für die Produktion in verpackter Form gelagert würden, vorsehe. Dieses Verständnis der Arbeitsordnung entsprach damit offensichtlich der Betriebsübung und damit dem Verständnis der Betriebsparteien.

50

4. Das Arbeitsgericht hat auch den im Kündigungsrecht geltenden ultima ratio-Grundsatz beachtet. Der Kläger war durch die Abmahnung vom 24.04.2006 und erst recht durch die bereits einmal ausgesprochene Kündigung vom 04.07.2006 klar und deutlich gewarnt. Seinem erneuten, jetzt kündigungsauslösenden Rauchen im Lager war zunächst vorausgegangen, dass er bereits am 21.04.2006 vom Geschäftsführer K rauchend angetroffen worden war und dafür mit Schreiben vom 24.04.2006 abgemahnt wurde. Als er weniger als 3 Monate nach dieser Abmahnung am 04.07.2006 erneut dort rauchend angetroffen wurde, hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung zum 31.03.2007 an. Der Betriebsrat stimmte dieser Kündigung zunächst zu. Er modifizierte seine Zustimmung jedoch sodann dahingehend, dass in Anbetracht des Alters des Klägers und seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit die Kündigung zurückgenommen werden sollte, sofern der Kläger innerhalb der bis zum 31.03.2007 laufenden Kündigungsfrist nicht mehr gegen die Betriebsordnung verstoße. Die Beklagte hatte sich damit einverstanden erklärt und das Arbeitsverhältnis, nachdem die Kündigung zunächst am 12.07.2006 ausgesprochen war, ohne dass der Kläger hiergegen vorgegangen wäre, über den 31.03.2007 hinaus fortgesetzt, weil der Kläger bis dahin nicht mehr gegen die Betriebsordnung verstoßen hatte. Deutlicher kann einem Arbeitnehmer der drohende Verlust des Arbeitsplatzes nicht vor Augen geführt werden. Nur wenige Monate später indes verstieß er erneut gegen genau dieses Rauchverbot.

51

Dabei kann dahinstehen, ob frühere Abmahnungen wegen anderer Verstöße gegen die Arbeitsordnung (so die vom 12.09.1997 wegen eines mit Urin gefüllten Eimers auf dem vom Kläger gefahrenen Fahrzeug, vom 28.01.2003 wegen des alkoholisierten Zustandes während der Arbeit, vom 21.04.2004 wegen des gleichen Verstoßes und wegen Urinierens ins Fertigwarenlager) nicht mehr - wie der Kläger offensichtlich meint – relevant sind, weil dieser seit der letzten Abmahnung eine Entzugsbehandlung durchführte und seither "trocken" gewesen ist. Der Kläger war jedenfalls speziell wegen des Verstoßes gegen Rauchverbot vor nicht langer Zeit einmal abgemahnt und ein weiteres Mal gekündigt worden. Es ist nicht ersichtlich, was der Arbeitgeber zur Erfüllung des ultima ratio-Grundsatzes noch tun sollte.

52

5. Ohne Erfolg auch versucht der Kläger seinen Verstoß als wenig bedeutend darzustellen:

53

a) Der Vortrag des Klägers, dass ein Mitarbeiter der Beklagten, Herr L , einmal in der Woche mit einem Pappdeckel mit Klebstoff Mäuse fange und dass auch Mäuse in verwestem Zustand entdeckt würden, hat keinen relevanten Bezug zum Verstoß des Klägers. Dass die Beklagte sich gegen Mäuse wehren muss, ist offensichtlich. Ob diese Versuche möglicherweise unzureichend sind, hat nichts mit dem Rauchverbot zu tun, gegen das der Kläger verstoßen hat. Die Beklagte muss nicht deshalb hartnäckige vorsätzliche Verstöße des Klägers hinnehmen, weil möglicherweise an anderer Stelle in dem von ihr insgesamt verantworteten Betriebsbereich Fehler gemacht werden.

54

b) Auch wenn man berücksichtigt, dass nach des Klägers Vortrag im Keller sämtliche Lebensmittel fest in Plastiktüten verschlossen seien und jede Plastiktüte noch einmal in einem mit Klebestreifen verschlossenen Karton verpackt sei, erscheinen die hartnäckigen Verstöße des Klägers gegen das Rauchverbot nicht in milderem Licht. Zum Einen kann sich Rauch auch auf Kartons niederschlagen, so dass diese nach Rauch riechen, wenn sie ausgeliefert werden. Zum Anderen aber erscheint das Rauchverbot offensichtlich auch aus Brandschutzgründen gerechtfertigt. Der Kläger wusste durch die vorhergehenden Sanktionen um die Bedeutung, die die Beklagte dem Rauchverbot beimaß.

55

c) Der Kläger beruft sich ferner darauf, dass ein mit Motor betriebener Stapler eine weit größere Kontamination darstelle. Nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagten werden im Lagerbereich Elektrofahrzeuge benutzt. Nur im Außenbereich wird ein mit Gas betriebener Gabelstapler gefahren, der gelegentlich bis zu 2 Meter in den Eingangsbereich der Halle hinein kommt. Dies ist aber offensichtlich – da das Tor offen sein muss – gelüftet. Dieser Betrieb eines gasbetriebenen Gabelstaplers muss die Beklagte keineswegs veranlassen, auch das Rauchen im Lager hinzunehmen.

56

d) Schließlich kann es den Kläger nicht entlasten, dass er nach seinem Vorbringen an diesem Tage wegen des bevorstehenden Audits des wichtigen Kunden R unter Stress gestanden habe. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass an das Lager angrenzend ein Aufenthaltsraum existiere, in dem geraucht werden dürfe. Dass der Kläger nicht für die kurze Zeit des Rauchens der Zigarette in den Aufenthaltsraum hätte gehen können, ist nicht ersichtlich. Gänzlich unsubstantiiert ist auch sein Vortrag, dass an diesem Tag so viele Arbeiten von ihm zu erledigen gewesen seien, dass er die Pausenzeit durcharbeiten "musste". Dass ihm eine entsprechende Weisung gegeben wäre, hat der Kläger auch nicht einmal in allgemeiner Form behauptet. Davon abgesehen aber lässt mögliche Zeitnot das Verhalten des Klägers deshalb nicht in milderem Licht erscheinen, weil er durch die erst vor kurzer Zeit vorangegangene Abmahnung und die ebenfalls vor kurzer Zeit vorangegangene Kündigung eindeutig gewarnt war.

57

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

58

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

59

Gegen dieses Urteil ist für mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde beim

60

Bundesarbeitsgericht

61

Hugo-Preuß-Platz 1

62

99084 Erfurt

63

Fax: (0361) 2636 - 2000

64

anzufechten auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.

65

Dr. Backhaus Röcker Becker

 

 

 


http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/arbg_duisburg/j2009/3_Ca_1336_09urteil20090914.html

Arbeitsgericht Duisburg, 3 Ca 1336/09

Datum:

14.09.2009

Gericht:

Arbeitsgericht Duisburg

Spruchkörper:

3. Kammer

Entscheidungsart:

Urteil

Aktenzeichen:

3 Ca 1336/09

 

Schlagworte:

Fristlose Kündigung, Raucherpause

Normen:

§ 626 BGB

Sachgebiet:

Arbeitsrecht

Leitsätze:

Gilt im Betrieb die Regelung, dass die Beschäftigten bei Raucherpausen auszustempeln haben, ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt, wenn eine Arbeitnehmerin trotz Abmahnung wiederholt Pausen im Raucherraum verbringt, ohne die vorgeschriebene Zeiterfassung zu bedienen.

 

Tenor:

1)Die Klage wird abgewiesen.

2)Die klagende Partei trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3)Der Streitwert beträgt 6.947,46 Euro.

 

T a t b e s t a n d :

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung

2

Die 59jährige, geschiedene Klägerin trat zum 1.5.1990 als kaufmännische Angestellte in die Dienste der Beklagten, einer Anstalt öffentlichen Rechts mit mehr als 10 Arbeitnehmern. Zuletzt verdiente die Klägerin monatlich 2.315,82 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.

3

In einer Bekanntmachung 13/2007 vom 22.3.2007, einer Bekanntmachung 06/2008 vom 18.2.2008 sowie in der Mitarbeiterinformation 33/2008 vom 19.12.2008 wurde seitens der Beklagten darauf hingewiesen, dass vor einer Raucherpause auszustempeln ist. Die Klägerin wurde zudem persönlich mit E-Mail vom 31.5.2007 über diese Regelung informiert.

4

Die Klägerin wurde aufgrund von Verstößen gegen die Pflicht zum Aus- und Einstempeln bei Raucherpausen am 3.4.2008 und mit zwei zeitgleich erfolgten letztmaligen Abmahnungen vom 7.7.2008 aufgefordert, künftig ihren Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Die Abmahnungen enthalten eine Kündigungsandrohung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen zur Klageerwiderung (vgl. Bl. 30 - 34 der Akte) Bezug genommen.

5

Seit Dezember 2008 steht den Beschäftigten und damit auch der Klägerin ein Raucherraum zur Verfügung. Der Stempelautomat befindet sich ca. 5 m nach links versetzt neben der Tür. Die Klägerin hat deshalb von ihrem Büro kommend zunächst am Raucherraum vorbei zu gehen zum Stempelautomat und sodann zum Raucherraum zurückzukehren.

6

Am 27.4.2009 befand sich die Klägerin um 14:35 Uhr im Raucherraum und rauchte. Am 28.4.2009 wurde die Klägerin erneut um 11:40 Uhr beim Rauchen im Raucherraum gesehen. Am 29.4.2009 wurde die Klägerin wiederum um 10:47 Uhr rauchend im Raucherraum angetroffen.

7

Für die vorgenannten Zeiten weist die Zeiterfassung der Klägerin weder eine Aus- noch eine Einstempelung auf. Bis zum 5.5.2009 ging kein Korrekturbeleg ein.

8

Die Klägerin suchte den Raucherraum an den genannten Tagen weitere Male auf. Bei diesen Gelegenheiten bediente die Klägerin die Zeiterfassung ordnungsgemäß.

9

Am 5.5.2009 wurde die Klägerin um 15:30 Uhr zur Sachverhaltsaufklärung angehört.

10

Mit Schreiben vom 12.5.2009, das die Klägerin am 12.5.2009 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist.

11

Mit bei Gericht am 25.5.2009 eingegangener, der Beklagten am 4.6.2009 zugestellter Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

12

Die Klägerin behauptet, ein wichtiger Grund liege nicht vor. Die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten.

13

Die hilfsweise erklärte Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Weder in ihrem Verhalten noch in ihrer Person lägen Kündigungsgründe vor.

14

Sie habe die Stempeluhr nicht wissentlich und vorsätzlich falsch bei den von ihr eingelegten Raucherpausen bedient.

15

Sie könne sich das fehlende Ausstempeln nur damit erklären, dass sie gedanklich so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen sei, dass sie die Bedienung des Stempelautomaten vergessen habe.

16

Das Computerprogramm sei relativ neu gewesen und habe nicht fehlerfrei gearbeitet.

17

Sie habe der Beklagten sofort das Angebot unterbreitet, für die Raucherpausen einen Tag Urlaub anzurechnen.

18

Die ordnungsgemäße Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Personalrates sei mit Nichtwissen zu bestreiten.

19

Die Klägerin ist zudem der Ansicht, die Kündigung sei aus formalen Gründen unwirksam. Der Personalrat sei gemäß § 74 Abs. 1 LPVG zu der hilfsweisen außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung angehört worden. Dort sei jedoch lediglich die ordentliche Kündigung geregelt.

20

Die Klägerin beantragt,

21

1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch die hilfsweise erklärte Kündigung der Beklagten vom 12.5.2009 beendet wird,

22

2.im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als kaufmännische Angestellte weiter zu beschäftigen.

23

Die Beklagte beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

25

Die Beklagte behauptet, der Personalbereich habe von Herrn B., Arbeitsgruppenleiter WBD-GA1, am 27.4.2009 die Information erhalten, die Klägerin habe im Raucherraum um 14:35 Uhr geraucht. Herr B. habe auch am 28.4.2009 für die Zeit um 11:40 Uhr eine entsprechende Information erhalten. Am 29.4.2009 habe Herr B. die Klägerin um 10.47 Uhr wiederum selbst im Pausenraum rauchen gesehen.

26

Der Personalrat sei unter dem 6.5.2009 beteiligt worden.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

28

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

29

I.

30

1.

31

Die Kündigung vom 12.5.2009 hat das Arbeitsverhältnis fristlos beendet.

32

a)

33

Nach § 34 Abs. 2 TVöD können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden.

34

Diese Voraussetzungen liegen bei der 59jährigen Klägerin, die seit 1990 bei der Beklagten in Duisburg beschäftigt ist, vor.

35

Die Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ergeben sich aus den allgemeinen Vorschriften für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

36

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis fristlos beendet werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

37

Die Prüfung des wichtigen Grundes erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen (vgl. BAG v. 26.3.2009, 2 AZR 953/07, DB 2009, 1772; BAG v. 27.4.2006, 2 AZR 386/05, NZA 2006, 1033). Auf der ersten Stufe ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein an sich geeigneter Kündigungsgrund vor, ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.

38

(1)

39

Die Klägerin hat gegen die ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis in besonders schwerwiegender Weise verstoßen.

40

Unstreitig herrscht bei der Beklagten die Regelung, dass bei Einlegung einer Raucherpause auszustempeln ist. Eine solche Regelung ist zulässig und verletzt nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Rauchen am Arbeitsplatz zu untersagen (BAG v. 19.5.2009, 9 AZR 241/08, NZA 2009, 1540; grundlegend BAG v. 19.1.1999, 1 AZR 499/98, NZA 1999, 546). Ein Anspruch auf bezahlte Raucherpausen besteht - sofern nicht vom Arbeitgeber gestattet - nicht. Die Klägerin hat die Verbindlichkeit dieser Regelung, die auch in der Mitarbeiterinformation 33/2008 ausdrücklich vom Vorsitzenden des Personalrates unter der Überschrift „Vorstand und Personalrat informieren gemeinsam“ unterzeichnet worden ist, nicht in Abrede gestellt. Im Gegenteil hat sie die grundsätzliche Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens eingeräumt.

41

Ist für eine Raucherpause auszustempeln, so bedeutet dies, dass Raucherpausen nicht zur bezahlten Arbeitszeit gehören. Der Arbeitnehmer kann von dem Arbeitgeber keine Bezahlung dieser - allein seinem persönlichen Bedürfnis geschuldeten - Zeit verlangen. Besteht eine Regelung zum Ausstempeln und bedient ein Arbeitnehmer die vorgeschriebene Zeiterfassung nicht, so veranlasst er den Arbeitgeber, ihm Entgelt zu zahlen, ohne die geschuldete Leistung erbracht zu haben.

42

Verstöße in diesem Bereich rechtfertigen eine fristlose Kündigung. Erledigt ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit private Angelegenheiten, ohne - wie für Arbeitsunterbrechungen vorgesehen - in der Arbeitszeiterfassung eine entsprechende Korrektur vorzunehmen, so rechtfertigt dies auch ohne vorangehende Abmahnung den Ausspruch einer Kündigung (LAG Hamm v. 30.5.2005, 8 (17) Sa 1773/04, NZA-RR 2006, 353). Das unbefugte Verlassen des Arbeitsplatzes kann im Einzelfall nach vorangegangener Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz v. 1.4.2004, 11 Sa 1383/03, n. v.). Ein - auch einmaliger - Arbeitszeitbetrug rechtfertigt in der Regel eine außerordentliche Kündigung (BAG v. 24.11.2005, 2 AZR 39/05, NZA 2006, 484).

43

Das Verhalten der Klägerin ist den vorgenannten Fällen gleichzustellen. Sie legt - rein privat - eine Pause ein und erhält entgegen den vertraglichen Vereinbarungen diese Zeit bezahlt. Selbst wenn dies ohne Vorsatz erfolgt sein sollte, was angesichts der vagen Einlassung der Klägerin sehr fraglich ist, ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Denn es handelt sich um ein schwerwiegendes Fehlverhalten. Könnte die Beklagte der Klägerin Vorsatz nachweisen, so bedürfte es - wie ausgeführt - der vorhergehenden Abmahnungen nicht. Den wiederholten Entzug von Arbeitsleistung ohne sachlichen Grund hat der Arbeitgeber aber auch dann nicht hinzunehmen, wenn er nicht vorsätzlich erfolgt sein sollte. Zumindest die Erbringung der Arbeitsleistung in der geschuldeten Zeit ist die Hauptpflicht, die der Arbeitnehmer schuldet. Verstöße in diesem Bereich berühren den Kernbereich des gegenseitigen Austauschverhältnisses. Der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer, der keinen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung schuldet, wenigstens verlangen, dass er die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich erbringt. Nur für diesen Fall schuldet er auch das vollständige Entgelt.

44

Aufgrund der Abmahnungen war die Klägerin ausreichend gewarnt. Die Klägerin war erst vor gut einem Jahr das erste Mal für ein entsprechendes Verhalten abgemahnt worden. Die Abmahnung beschreibt genau das Fehlverhalten, benennt die beanstandete Pflichtverletzung und enthält den Hinweis auf eine mögliche Kündigung im Wiederholungsfall. Anschließend ist die Klägerin ca. fünf Monate später, also nur neun Monate vor dem jetzigen Verstoß, nochmals zweimal abgemahnt worden. Spätestens seitdem hätte die Klägerin besonders sensibilisiert sein müssen. Ein „Vergessen“ ist kein Rechtfertigungsgrund für ein Fehlverhalten (LAG Hamm v. 17.2.2006, 10 Sa 1869/05, n. v.). Die Klägerin, die zudem selbst einräumt, dass sie mehrmals am Tag den Raucherraum aufsuchte, hatte deshalb besonders darauf zu achten, dass es in Zukunft nicht wieder zu einem „Vergessen“ kommt.

45

Ist ein Arbeitnehmer nicht in der Lage, dieser Obliegenheit nachzukommen, so rechtfertigt dies bereits die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber muss es nicht hinnehmen, einen besonders „vergesslichen“ Arbeitnehmer beschäftigen zu müssen, der immer wieder Arbeitszeit bezahlt bekommt, ohne hierfür gearbeitet zu haben.

46

(2)

47

Die fristlose Kündigung ist auch unter Würdigung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

48

Notwendig ist eine umfassende Güter- und Interessenabwägung. Es sind das Interesse des Kündigenden an der Auflösung und das Interesse des Kündigungsempfängers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gegenüberzustellen. Hinzutreten können Art und Schwere der Verfehlung, Umfang des verursachten Schadens, Wiederholungsgefahr, Beharrlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens, Grad des Verschuldens, Lebensalter, Folgen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, Größe des Betriebes sowie der soziale Besitzstand des Arbeitnehmers (BAG v. 27.4.2006, 2 AZR 386/05, NZA 2006, 1033).

49

Zugunsten der Klägerin sind ihr Lebensalter und die lange Beschäftigungsdauer zu berücksichtigen. Andererseits handelt es sich - da es um eine Arbeitszeitverfehlung aus rein privatem Anlass geht - um ein besonders schweres Fehlverhalten. Zudem besteht eine besondere Wiederholungsgefahr. Die Klägerin war mehrfach abgemahnt worden. Gleichwohl hat sie an drei aufeinander folgenden Tagen nicht ausgestempelt. Damit ist das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstört. Auch eine Fortsetzung bis zum Ablauf einer sozialen Auslauffrist entsprechend der längsten Kündigungsfrist gem. § 34 Abs. 1 S. 1 TVöD von sechs Monaten zum Quartalsende, also bis zum 31.12.2009, ist nicht zumutbar. Bei einer Arbeitnehmerin, die mehrfach täglich Raucherpausen in Anspruch nimmt, und die trotz mehrfacher Abmahnungen an drei aufeinander folgenden Tagen das „Ausstempeln“ einfach vergessen haben will, kann nicht erwartet werden, dass sich dieses Verhalten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht wiederholen wird.

50

Das Fehlverhalten ist auch nicht deshalb nur als gering einzustufen, weil es sich jeweils nur um wenige Minuten gehandelt hat. Wie ausgeführt, ist bei einem Arbeitszeitbetrug auch bei einer geringfügigen Zeitdifferenz die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Gleiches hat zu gelten, wenn es sich um ein nach dreimaliger Abmahnung nochmals an drei aufeinander folgenden Tagen auftretendes Fehlverhalten handelt. Die wenigen Minuten für eine Raucherpause addieren sich zu einem erheblichen Zeitverlust. Würde man argumentieren, der Schaden sei gering, gäbe es letztlich keine Grenze mehr, bei der man von einer Unzumutbarkeit ausgehen könnte.

51

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Toleranz von Verstößen gegen die Zeiterfassung bei Raucherpausen dazu führen würde, dass sich potentiell mehr Beschäftigte nicht mehr an die Vorgaben halten. Eine Generalprävention gegenüber anderen Mitarbeitern ist im Rahmen der Interessenabwägung ein nur begrenzt tragfähiger Gesichtspunkt (BAG v. 28.7.2009, 3 AZN 224/09, NZA 2009, 859; BAG v. 16.12.2004, 2 ABR 7/04, AP Nr. 191 zu § 626 BGB). Auch wenn demnach dieser Aspekt nur begrenzt zu berücksichtigen ist, so fällt er vorliegend zu Lasten der Klägerin ins Gewicht. Raucherpausen sind, wenn sie unbezahlt geduldet werden, gerichtsbekannt in den meisten Betrieben Gegenstand kontroverser Diskussionen. Um solche Diskussionen zu vermeiden und so letztlich die Zusammenarbeit aller zu fördern, besteht ein anerkennenswertes und nachvollziehbares Interesse der Beklagten an der Durchsetzung der getroffenen Regelung.

52

Dem Umstand, dass jedem Menschen einmal Fehler unterlaufen können, hat die Beklagte bereits hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass sie sich bei den ersten drei Verstößen auf eine Abmahnung beschränkt hat und die Kündigung erst ausgesprochen hat, nachdem die Klägerin weitere dreimal - zudem an unmittelbar aufeinander folgenden Tagen - die Vorschriften nicht eingehalten hat. Der Beklagten kann auch gerade nicht vorgeworfen werden, sie hätte die Klägerin sofort am ersten Tag ansprechen müssen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Beklagte die Klägerin bewusst habe „vorführen“ wollen oder dass sie sie etwa „in ein offenes Messer“ habe laufen lassen wollen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie es zunächst bei Abmahnungen belassen hat. Es ist einem Arbeitgeber nicht anzulasten, dass er nicht am ersten Tag eines erkannten Fehlverhaltens reagiert. Dies kann sich auch zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken, nämlich dann, wenn der Arbeitgeber bei einem einmaligen Verstoß von weiteren Maßnahmen absieht. Da die Klägerin sich aus- und einzustempeln hat, hat sie aber insgesamt sechs Handlungen unterlassen, die sie als starke Raucherin routinemäßig beherrscht haben dürfte.

53

Zugunsten der Klägerin kann auch nicht ihre Einlassung berücksichtigt werden, an den genannten Tagen habe sie ein „relativ“ neues Computerprogramm bedienen müssen und sie sei sehr beschäftigt gewesen, weil das Programm nicht fehlerfrei gearbeitet hätte. Dieser Vortrag ist bereits wenig konkret. Es fehlen jegliche Einzelheiten, was an diesen drei Tagen anders gewesen sein soll. Auch ist nicht angegeben, was unter einem „relativ“ neuen Programm zu verstehen sein soll.

54

Der Vortrag ist auch wenig überzeugend. Wäre es so gewesen, wie die Klägerin behauptet, ist nicht zu erklären, warum sie bei den ca. fünf weiteren Raucherpausen an den genannten Tagen das Ausstempeln nicht vergessen hat. Da bereits diese Einlassung die Klägerin nicht entlastet, kam es auf den Vortrag der Beklagten, das Programm sei bereits seit mehreren Jahren eingeführt gewesen, die Klägerin sei mehrfach geschult worden und an den genannten Tagen seien keine Störungsmeldungen eingegangen, nicht mehr an. Einer besonderen Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf den letzten Schriftsatz bedurfte es deshalb nicht.

55

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des besonderen Kündigungsschutzes gem. § 34 Abs. 2 TVöD, der eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ausschließt. Die tarifliche „Unkündbarkeit“ kann zugunsten des Arbeitnehmers ins Gewicht fallen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hätte. Bei einer Wiederholungsgefahr ist dies jedoch anders zu sehen (so ausdrücklich BAG v. 14.2.1996, 2 AZR 274/95, NZA 1996, 873). Auch der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer kann nicht darauf vertrauen, dass er immer wieder - sanktionslos - vergessen darf, das erforderliche Ein- und Ausstempeln vorzunehmen. Die mildere Sanktion - nämlich eine Abmahnung - hatte die Beklagte bereits für drei Verfehlungen im Ergebnis erfolglos versucht.

56

Die Beklagte muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, der Klägerin nachträglich einen Tag Urlaub gutzuschreiben. Selbst wenn die Klägerin einen entsprechenden Vorschlag im Rahmen der Anhörung am 5.5.2009 unterbreitet haben sollte - die Beklagte bestreitet dies - so ändert dieser Vorschlag nichts am Fehlverhalten. Ein rechtswidriges Verhalten wird nicht dadurch rechtmäßig, dass nach Entdeckung eine anderweitige Kompensation vorgeschlagen wird.

57

Aus den gleichen Gründen kam auch eine Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht in Betracht. Grund für die Kündigung ist das fehlende Vertrauen in die Klägerin, die Vorschriften zur Arbeitszeit einzuhalten. Da die Beklagte die Klägerin nicht ständig überwachen kann, ist nicht auszuschließen, dass es in Zukunft zu weiteren Pflichtverletzungen kommen wird.

58

Schließlich fällt die geschiedene Klägerin, die nach Aktenlage aktuell keine Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, auch nicht in den „sozialen Ruin“, wie der Personalrat ausgeführt hat. Sicherlich hat sie erhebliche Einbußen hinzunehmen. Angesichts der vorhandenen sozialen Sicherungssysteme kann dies jedoch nicht als „sozialer Ruin“ bezeichnet werden.

59

b)

60

Die Kündigung ist rechtzeitig gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen erfolgt.

61

Die Kündigungserklärungsfrist beginnt gem. § 626 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (BAG v. 23.10.2008, 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB).

62

Die Beklagte hat vom maßgebenden Kündigungsgrund frühestens am 27.4.2009 Kenntnis erlangt. In Bezug auf die Verstöße vom 28.4.2009 und 29.4.2009 ist die Kündigung noch innerhalb der ab dem Zeitpunkt des Pflichtverstoßes berechneten Zwei-Wochen-Frist zugegangen. Auch hinsichtlich des Verstoßes am 27.4.2009 ist die Kündigungserklärungsfrist noch nicht abgelaufen. Bei Dauertatbeständen ist anerkannt, dass die Erklärungsfrist jeden Tag neu beginnt (BAG v. 22.1.1998, 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708). Entsprechendes hat zu gelten, wenn maßgeblich für die Kündigung ein an drei Tagen hintereinander fortgesetztes Verhalten ist. Der Vorwurf beschränkt sich nicht darauf, dass die Klägerin gerade am 27.4.2009 ihre Pflichten missachtet hat, sondern umfasst gerade die wiederholte Pflichtverletzung an drei Tagen.

63

c)

64

Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender oder unrichtiger Personalratsanhörung unwirksam.

65

Gem. § 74 Abs. 4 LPVG NW ist vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen der Personalrat anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

66

Die Beklagte hat im Einzelnen vorgetragen, dass sie den Personalrat unter Angabe des wesentlichen Sachverhalts, nämlich der drei Verstöße, der vorangegangenen Abmahnungen sowie der Einlassung der Klägerin am 6.5.2009 angehört hat.

67

Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin selbst das Antwortschreiben des Personalrates vom 8.5.2009 vorgelegt hat, aus dem sich ergibt, dass der Personalrat am 6.5.2009 angehört worden ist. Wie die ausführliche Stellungnahme des Personalrats zeigt, hat dieser sich mit dem Sachverhalt eingehend auseinandergesetzt. Die Stellungnahme wäre nicht möglich gewesen, wenn der Personalrat nicht die für eine Anhörung erforderlichen Informationen erhalten hätte.

68

Somit wäre es im Rahmen der ihr obliegenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Sache der Klägerin gewesen, konkret zu beanstanden, in welchen Punkten sie das Verfahren für fehlerhaft hält (vgl. BAG v. 20.01.2000, 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47; BAG v. 16.03.2000, 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332). Die Klägerin hat sich hierzu nicht mehr im Einzelnen geäußert, es ist bei dem Bestreiten mit Nichtwissen innerhalb der Klageschrift geblieben. Im übrigen wurde nur pauschal die Rechtsansicht vertreten, der Hinweis auf § 74 Abs. 1 LPVG NW in der Anhörung führe zu einem Formfehler. Ein solches Bestreiten ist unzureichend mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO (vgl. BAG v.16.03.2000, 2 AZR 75/99, a.a.O.).

69

Daneben liegt ein Formfehler nicht vor. Die Beklagte hat hilfsweise eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgesprochen. Für diese ist der Personalrat - auch wenn es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt - nach den Vorschriften der Mitwirkung bei ordentlichen Kündigungen zu beteiligen (BAG v. 18.1.2001, 2 AZR 616/09, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1; BAG v. 18.10.2000, 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219; entsprechend zum BetrVG BAG v. 12.1.2006, 2 AZR 242/05, AP Nr. 13 z § 626 BGB Krankheit).

70

Wiederum aus der Stellungnahme des Personalrats ergibt sich bereits, dass er sowohl nach § 74 Abs. 1 LPVG NW für die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist als auch gem. § 74 Abs. 4 LPVG NW für die außerordentliche Kündigung angehört wurde.

71

2.

72

Da die Kündigungsschutzklage abzuweisen ist, ist der nur für den Fall des Obsiegens gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung nicht mehr zur Entscheidung angefallen.

73

II.

74

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 91 ZPO.

75

Der Streitwert ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO, § 42 Abs. 3 GKG im Urteil festzusetzen. Er entspricht im Übrigen dem gem. § 63 Abs. 2 GKG für die Gerichtsgebühren festzusetzenden Streitwert.

76

Rechtsmittelbelehrung

77

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei

78

B e r u f u n g

79

eingelegt werden.

80

Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

81

Die Berufung muss

82

innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat

83

beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: 0211 7770 2199 eingegangen sein.

84

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

85

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

86

1.Rechtsanwälte,

87

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

88

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

89

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

90

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

91

Hagen

 

 

 


http://www3.justiz.rlp.de/rechtspr/DisplayUrteil_neu.asp?rowguid={BA799557-08AD-4748-9B7D-C9E31FF47B7A}

Az.: 10 Sa 562/09

 

Entscheidung: URTEIL

 

Sachgebiet(e)

 

Gerichtstyp

LAG 

Gerichtsort

Mainz 

Datum

21.01.2010 

Aktenzeichen

10 Sa 562/09

Titel

Kündigung wegen Überschreitung der Pausenzeiten - exzessive Raucherpausen - Interessenabwägung 

Text

Aktenzeichen:
10 Sa 562/09
8 Ca 206/09
ArbG Ludwigshafen
Urteil vom 21.01.2010

 

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 10. Juni 2009, Az.: 8 Ca 206/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 27.01.2009 wegen Überziehung der Pausenzeiten.

Der Kläger (geb. am 23.01.1955, geschieden, keine Unterhaltspflichten) ist am 01.07.1970 als Auszubildender bei der Beklagten eingetreten. Seit Abschluss seiner Berufsausbildung wird er als Chemielaborwerker zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt ca. € 3.000,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in A-Stadt ca. 32.000 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ist von der Beklagten wegen einer Alkoholerkrankung zum 04.05.1988 gekündigt worden. Am 18.09.1989 stellte sie ihn entsprechend der Betriebsvereinbarung „Suchtmittelmissbrauch“ (BV 85) nach erfolgreicher Langzeitentwöhnungsbehandlung unter Anrechnung der früheren Dienstzeit wieder ein. Der Kläger ist starker Raucher. Er raucht nach eigenen Angaben täglich ca. 50 Zigaretten.

Der Kläger arbeitet in Gleitzeit nach der Betriebsvereinbarung „Flexible Jahresarbeitszeit“ (BV 47) auf Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden. Der Arbeitszeitrahmen liegt montags bis freitags von 6:00 bis 20:00 Uhr, wobei die tägliche Arbeitszeit 10 Stunden nicht überschreiten darf. Die tägliche Anwesenheitszeit wird durch das Bedienen des Zeiterfassungsgeräts beim Kommen und Gehen erfasst. Das Zeiterfassungssystem errechnet die Pausenzeit und zieht sie automatisch von der Anwesenheitszeit ab. Die BV 47 hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

5.                  Pausen

Die Länge der unbezahlten Pausen orientiert sich an der Anwesenheitszeit. Entsprechend der Anwesenheitszeit werden folgende Pausen in Abzug gebracht:

ab 4 Stunden 30 Minuten bis unter 9 Stunden

                                    15 Minuten plus dem linear steigenden Anteil von 45 Minuten *)

ab 9 Stunden

60 Minuten Pause

*) graphische Darstellung der Pausenzeiten Anlage 1

Bei Überschreitung dieser Pausenzeiten oder bei Arbeitsunterbrechung aus sonstigen Gründen ist zu Beginn und Ende der Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen.

7.      Zeiterfassung

Mittels Zeiterfassung wird die Dauer des Arbeitseinsatzes dokumentiert. Es werden je Arbeitstag nach Abzug der Pausen maximal 10 Stunden im Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. …

8.      Einschränkungen

Für Mitarbeiter, die wiederholt diese Arbeitszeitvereinbarung nicht einhalten bzw. nicht einhalten können, wird eine Einzelfallregelung getroffen.

…“

 

Auf dem Werksgelände der Beklagten gibt es ausgewiesene Raucherräume und Raucherbereiche. Das Rauchen ist nur dort erlaubt. Der Kläger sucht regelmäßig den in seinem Arbeitsbereich ausgewiesenen Raucherraum auf, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen.

Mit Schreiben vom 06.03.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er am 19.10.2007 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 14:28 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 49 Minuten) insgesamt 3 Stunden und 46 Minuten Pause gemacht haben soll. Im Einzelnen von:

06:37 - 06:50 Uhr                  11:30 - 11:45 Uhr

07:25 - 07:50 Uhr                  12:00 - 13:00 Uhr

08:10 - 08:45 Uhr                  13:40 - 13:55 Uhr

10:05 - 10:55 Uhr                  14:15 - 14:28 Uhr

 

Mit Schreiben vom 07.03.2008 erteilte ihm die Beklagte eine zweite Abmahnung, weil er am 28.01.2008 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 16:27 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten Pause gemacht haben soll. Im Einzelnen von:

07:20 - 07:50 Uhr                  12:05 - 13:05 Uhr

09:10 - 09:30 Uhr                  13:45 - 14:00 Uhr

11:00 - 11:35 Uhr                  15:25 - 15:40 Uhr

 

Beide Abmahnungen wurden dem Kläger am 01.04.2008 übergeben. Sie haben unter anderem folgenden Wortlaut:

„Sie haben sich durch Ihre unredliche Vorgehensweise Zeitguthaben erschlichen, auch indem Sie nicht unmittelbar nach dem Rauchen einer Zigarette Ihre Arbeit aufgenommen haben. (Des Weiteren haben Sie Ihren Arbeitstag mit jeweils einer Pause begonnen und beendet [nur Abmahnung vom 06.03.2008].)

Wir fordern Sie auf, künftig Punkt 5 der Betriebsvereinbarung 47 „Flexible Jahresarbeitszeit“ einzuhalten.

Wir weisen Sie darauf hin, dass künftige Vorkommnisse ähnlicher Art zur Kündigung des mit Ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses führen werden.“

 

Mit Schreiben vom 27.01.2009, dem Kläger am 28.01.2009 zugegangen, kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrates und des Klägers das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2009. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger an folgenden Tagen wie folgt Pause gemacht haben soll:

 

Am 05.01.2009 (Anwesenheitszeit von 06:29 bis 16:37 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden 30 Minuten. Im Einzelnen:

07:15 - 07:30 Uhr                  11:10 - 11:45 Uhr

09:10 - 09:25 Uhr                  12:00 - 13:00 Uhr

10:45 - 10:55 Uhr                  15:10 - 15:25 Uhr

 

Am 07.01.2009 (Anwesenheitszeit von 06:32 bis 16:18 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden und 26 Minuten. Im Einzelnen:

07:53 - 08:09 Uhr                  11:15 - 11:45 Uhr

09:10 - 09:25 Uhr                  12:00 - 13:00 Uhr

10:15 - 10:25 Uhr                  15:30 - 15:45 Uhr

 

Am 08.01.2009 (Anwesenheitszeit von 06:29 bis 16:17 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden und 28 Minuten. Im Einzelnen:

07:45 Uhr - 08:05 Uhr                    12:00 Uhr - 13:00 Uhr

09:10 Uhr - 09:20 Uhr                    14:00 Uhr - 14:08 Uhr

10:00 Uhr - 10:30 Uhr                    14:45 Uhr - 15:05 Uhr

 

Am 09.01.2009 (Anwesenheitszeit von 06:31 bis 15:08 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 56 Minuten) insgesamt 3 Stunden. Im Einzelnen:

07:16 Uhr - 07:26 Uhr                    10:40 Uhr - 11:20 Uhr

07:55 Uhr - 08:10 Uhr                    12:00 Uhr - 13:00 Uhr

09:05 Uhr - 09:25 Uhr                    13:45 Uhr - 13:55 Uhr

10:10 Uhr - 10:25 Uhr                    14:25 Uhr - 14:35 Uhr

 

Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und stattdessen Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 10.06.2009 (dort Seite 2-10 = Bl. 167-175 d.A.).

 

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.01.2009 beendet worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemielaborwerker weiterzubeschäftigen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, weder die außerordentliche noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten seien gerechtfertigt. Dem Kläger sei kein „klassischer“ Zeiterfassungsbetrug vorzuwerfen, weil er nicht verpflichtet sei, im Zusammenhang mit Raucherpausen zu stempeln. Es liege vielmehr eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme von bezahlten Raucherpausen während der Arbeitszeit vor. Damit habe der Kläger - die aufgeführten Pausenzeiten als zutreffend unterstellt - seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit verletzt. Die angeführten Verstöße gegen die Arbeitspflicht trotz Abmahnungen reichten vorliegend nicht aus, um ein kündigungsrelevantes Fehlverhalten des Klägers zu begründen. Aufgrund der Handhabung der Pausenzeiten hätte es vor Ausspruch der Kündigung einer klaren Handlungsanweisung an den Kläger bedurft. Die Beklagte müsse zwar bezahlte Raucherpausen im vorgeworfenen Umfang nicht hinnehmen. Aufgrund der Praxis von Raucherpausen während der Arbeitszeit fehle es jedoch an klaren Vorgaben, die den Arbeitnehmern deutlich machten, wann konkret eine Verletzung der Arbeitspflicht vorliege. Es sei den Arbeitnehmern der Beklagten erlaubt, Raucherpausen während der bezahlten Arbeitszeit einzulegen. Das Zeiterfassungsgerät müsse nicht bedient werden. Es gebe insoweit keine erkennbare Grenze, bei deren Überschreitung dem Arbeitnehmer der Verstoß bewusst sein müsse. Vielmehr führe erst eine Gesamtschau des Verhaltens des Arbeitnehmers über mehrere Stunden oder einen Tag hinweg zu der Wertung, dass „jedenfalls in dem Umfang“ Pausen nicht toleriert werden. Durch die grundsätzliche Tolerierung der Pausen sei eine Grauzone zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Verhalten entstanden. In den beiden Abmahnungen sei der Kläger lediglich darauf hingewiesen worden, dass er sich Zeitguthaben erschleiche, wenn er nicht unmittelbar nach dem Rauchen einer Zigarette die Arbeit aufnehme. Es sei ihm keine Verhaltensanweisung an die Hand gegeben worden, etwa in dem Sinn, dass bei bezahlten Raucherpausen eine Abwesenheit vom Arbeitsplatz über eine bestimmte Minutenzahl hinaus nicht geduldet werde und höchstens einmal in der Stunde vorkommen dürfe.

Durch die dem Arbeitnehmer auf diese Weise zugebilligte Eigenverantwortung im Zusammenhang mit Raucherpausen könnten sich im Arbeitsalltag Verhaltensweisen einschleichen, die ohne Richtungsvorgaben von Vorgesetzten nicht ohne weiteres ein kündigungsrelevantes Verhalten darstellten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich nicht heimlich von seinem Arbeitsplatz entfernt habe, sondern vor den Augen seiner Vorgesetzten. Es handele sich um ein Problem des täglichen Arbeitsablaufs, bei dem von Vorgesetzten im Rahmen ihrer Mitarbeiterführung eine Rückmeldung und ein Einschreiten zu erwarten sei, wenn sie mit dem Verhalten nicht einverstanden seien. Bei einer kommentarlosen Beobachtung einer den Arbeitsalltag prägenden Verhaltensweise - zu häufige und zu lange Pausen - durch Vorgesetzte, liege arbeitgeberseitig ein Organisationsverschulden vor. Nach dem Vortrag der Beklagten hatten die Vorgesetzten Einblick in das Pausenverhalten des Klägers, wie die durch drei Vorgesetzte gefertigte Pausendokumentation zeige. Die Beklagte werfe dem Kläger kein plötzliches Fehlverhalten vor. Vielmehr soll Ende 2008 bei dem Gruppenleiter der Verdacht entstanden sein, der Kläger überziehe Pausenzeiten erheblich. Die Beobachtungen seien jedoch nicht zum Anlass für Gespräche mit dem Kläger oder Abmahnungen mit konkreter Handlungsanweisung genommen worden.

Selbst wenn man davon ausgehe, der Kläger sei ausreichend auf seine Pflichten im Zusammenhang mit Raucherpausen während der Arbeitszeit hingewiesen worden, hätte der Beklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden, um den Kläger zu vertragsgemäßem Verhalten anzuhalten. Sie hätte den Kläger anweisen können, bei Raucherpausen das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Damit wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, während der bezahlten Arbeitszeit Raucherpausen einzulegen.

Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 10 bis 16 des Urteils vom 10.06.2009 (= Bl. 175 - 181 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil, das ihr am 25.08.2009 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit am 14.09.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am Montag, dem 26.10.2009 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie macht geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts handele es sich vorliegend um einen Arbeitszeitbetrug und nicht nur um eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme von Raucherpausen. Der Kläger sei nach Ziffer 5 der BV 47 verpflichtet, bei Überschreitung der erarbeiteten Pausenzeit das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Trotz dieses klaren Sachverhalts habe das Arbeitsgericht eine Stempelpflicht verneint und damit Nichtraucherpausen und Raucherpausen ohne Rechtfertigung ungleich behandelt. Dabei habe selbst der Kläger nicht vorgetragen, weshalb Raucherpausen arbeitszeittechnisch besser zu bewerten seien als Nichtraucherpausen. Auch die Stempelpflicht für Raucherpausen richte sich nach den erarbeiteten Pausenzeiten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf bezahlte Raucherpausen. Eine Duldung von bezahlten Raucherpausen gelte allenfalls dann, wenn die Mitarbeiter die Raucherpausen im richtigen Verhältnis zur Dauer der Anwesenheitszeit nehmen. Sollte hier eine Duldung jenseits der normalen Pausenregelung vorliegen, beschränke sie sich lediglich auf kurze (1-2 Zigaretten andauernde) Raucherpausen. Eine Bevorzugung von Raucherpausen habe sie zu keinem Zeitpunkt vornehmen wollen. Im Übrigen werfe sie dem Kläger nicht nur „Raucherpausen“, sondern auch „Nicht-Raucherpausen“ und gemischte „Kombinations-Pausen“ vor, die er ebenfalls nicht gestempelt habe.

Es bestehe kein milderes Mittel als die fristlose Kündigung, allenfalls sei die ordentliche Kündigung als milderes Mittel zu akzeptieren. Eine erneute Anweisung an den Kläger, bei Raucherpausen das Zeiterfassungsgerät zu bedienen, würde bedeuten, dass sie ihm - trotz erfolgloser Abmahnungen - eine weitere Chance einräumen müsste. Im Übrigen würde die Einführung einer Stempelpflicht die unverhältnismäßige Inanspruchnahme von Pausen nicht unterbinden. Es sei ihr nicht anzulasten, dass sie die Bezahlung von Raucherpausen nicht rigoros unterbunden habe. Sie habe den Kläger nicht schlechter stellen wollen, als andere rauchende Mitarbeiter.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 23.10.2009 (Bl. 227-249 d.A.) und vom 15.01.2010 (Bl. 302-307 d.A.) Bezug genommen.

 

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 10.06.2009, Az. 8 Ca 206/09, abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beklagte müsse sich entgegenhalten lassen, dass sie keine eindeutigen Regelungen zu Raucherpausen herbeigeführt habe. Als milderes Mittel hätte sie strengere Regelungen einführen bzw. eindeutigere Abmahnungen erklären müssen.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 07.12.2009 (Bl. 292-295 d. A.) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

 

II.  In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben erfolglos. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 27.01.2009 weder außerordentlich mit sofortiger Wirkung noch ordentlich zum 30.09.2009 aufgelöst worden. Die Beklagte ist deshalb zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.

 

1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist unwirksam. Das Arbeitsgericht hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB im Ergebnis und im Wesentlichen auch in der Begründung zutreffend verneint.

Zwar liegt ein Grund vor, der überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dieser Grund führt jedoch im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsprinzips, nicht zum Überwiegen der berechtigten Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB von einer zweistufigen Prüfung des wichtigen Grundes auszugehen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - Juris Rn. 19).

 

1.1. Hiervon ausgehend hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Verletzung der Arbeitspflicht als Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

Der Kläger hat erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen begangen, weil er seine unbezahlten Pausenzeiten, die sich aus Nr. 5 Abs. 1 der BV 47 ergeben, in gravierendem Umfang überzogen hat. Er hat zusätzlich zu den unbezahlten Pausen weitere Pausen eingelegt, für die er das volle Arbeitsentgelt erhalten hat. Pausen gehören nicht zur bezahlten Arbeitszeit. Der Kläger hat damit die Beklagte veranlasst, ihm Arbeitsentgelt für Zeiten zu zahlen, ohne die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Den wiederholten Entzug der Arbeitsleistung ohne sachlichen Grund hat der Arbeitgeber auch dann nicht hinzunehmen, wenn er nicht vorsätzlich erfolgt sein sollte. Zumindest die Erbringung der Arbeitsleistung in der geschuldeten Zeit ist die Hauptpflicht, die der Arbeitnehmer schuldet. Verstöße in diesem Bereich berühren den Kernbereich des gegenseitigen Austauschverhältnisses. Der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer, der keinen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung schuldet, wenigstens verlangen, dass er die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich erbringt. Nur für diesen Fall schuldet er auch das vollständige Entgelt.

Auch wenn der Kläger den Umfang (Länge und Zeitpunkte) der Pausenzeiten, die die Beklagte im Einzelnen aufgeführt hat, pauschal bestreitet, so hat er selbst einräumt, dass er aufgrund seiner starken Nikotinabhängigkeit mehrmals am Tag zusätzliche Zigarettenpausen in der bezahlten Arbeitszeit eingelegt hat. Der Kläger hat damit unstreitig Zeiten, in denen er keine Arbeitsleistung erbracht hat, als Arbeitszeit bezahlen lassen und sich auf Kosten der Beklagten unberechtigte Vorteile verschafft. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, Raucherpausen oder sonstige Arbeitsunterbrechungen als Arbeitszeit zu vergüten.

Unterbricht der Arbeitnehmer während er bezahlten Arbeitszeit seine Arbeit und bleibt untätig, weil er sich privaten Dingen widmet (z.B. eine Zigarettenpause einlegt, private (Telefon-) Gespräche führt, Karten spielt, privat im Internet surft, Zeitung liest, etc.) verletzt er seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit. In Entscheidungen zur privaten Internetnutzung (BAG Urteil vom 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - Juris Rn. 27 ff., Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - Juris Rn. 25 ff.) nimmt das Bundesarbeitsgerichts an, dass eine gravierende zeitliche Vernachlässigung der Arbeitspflicht vorliegt, wenn sich der Arbeitnehmer z.B. über einen längeren Zeitraum ca. 10 % der Arbeitszeit (BAG 27.04.2006, Juris Rn. 26) oder innerhalb eines Zweiwochenzeitraums an zwei Arbeitstagen jeweils ca. 1 ½ Stunden (BAG 07.07.2005, Juris Rn. 28) während der bezahlten Arbeitszeit privaten Dingen widmet.

Aus dem Umstand, dass die Beklagte in beschränktem Maße kurze Raucherpausen (1 bis 2 Zigaretten täglich) während der bezahlten Arbeitszeit duldet, konnte der Kläger nicht herleiten, ihm sei gestattet, seine Pausenzeiten nach Belieben in erheblichem zeitlichem Umfang auszunutzen. Der Kläger räumt ein, dass er wegen seiner starken Nikotinsucht täglich ca. 50 Zigaretten raucht und deshalb mehrmals täglich für vier bis zehn Minuten den Raucherraum aufsucht. Legt man diese Angaben zugrunde, dann raucht der Kläger (bei einer täglichen Schlafdauer von acht Stunden) in acht Stunden ca. 20 Zigaretten. Selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass er zum Rauchen einer Zigarette nur fünf Minuten benötigt (wobei er noch den Arbeitskittel ablegen und den ausgewiesenen Raucherraum aufsuchen muss), so summieren sich die zusätzlichen Zigarettenpausen auf arbeitstäglich ca. 100 Minuten. Der Kläger kann nicht ernsthaft damit rechnen, dass die Beklagte solche exzessiven Raucherpausen innerhalb der bezahlten Arbeitszeit duldet bzw. gestattet.

 

1.2. Die Verfehlungen des Klägers führen im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zum Überwiegen der Interessen der Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bei der Interessenabwägung sind einerseits die Schwere der Verfehlung, deren Folgen für den Arbeitgeber, die Betriebsordnung und den Betriebsfrieden, ein eventuell eingetretener Vertrauensverlust sowie die Größe des Verschuldens und der Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen. Andererseits sind die Dauer des Arbeitsverhältnisses, etwaige Verdienste um den Betrieb, die diskriminierende Wirkung der fristlosen Kündigung, das Lebensalter und die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung zu berücksichtigen.

Die Pflichtverletzungen des Klägers sind zwar gravierend. Jedoch fällt zu seinen Gunsten die immens lange Betriebszugehörigkeit deutlich ins Gewicht. Das im Juli 1970 begründete Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hat im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung im Januar 2009 bereits über 38 Jahre bestanden. Der Kläger ist seit seinem 15. Lebensjahr bei der Beklagten beschäftigt und hat sein ganzes Arbeitsleben in ihrem Werk verbracht. Zu Gunsten des am 23.01.1955 geborenen Klägers ist außerdem sein Lebensalter zu berücksichtigen. Er war bei Zugang der Kündigung 54 Jahren alt und damit in einem Alter, in dem es für ihn praktisch aussichtslos ist, einen auch nur annähernd vergleichbaren Arbeitsplatz wie bei der Beklagten zu finden. Die Folgen der Arbeitslosigkeit träfen den Kläger hart. Die Berufungskammer verkennt nicht, dass das Arbeitsverhältnis nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Selbst der Kündigungsausschuss des Betriebsrates teilt in seiner Stellungnahme zur Kündigung mit, ihm sei klar, dass der Kläger nicht der „Musterknabe“ des Betriebes sei.

Die lange Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Klägers, das seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich beschneidet, rechtfertigen es zwar nicht, dass er seine Arbeitspflicht vernachlässigt und während der bezahlten Arbeitszeit in erheblichem Umfang zusätzliche Pausen einlegt, jedoch begründen sie ein erhebliches Bestandsschutzinteresse. Das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung zu beenden, tritt dahinter zurück.

 

2. Das Arbeitsgericht hat ebenfalls zutreffend erkannt, dass auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30.09.2009 nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist.

Zwar war das Fehlverhalten des Klägers nach Art und Schwere grundsätzlich geeignet, den Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter II. 1.1. zur außerordentlichen Kündigung verwiesen werden.

Doch führt auch hier die abschließende Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, das Interesse der Beklagten daran, es wenigstens fristgerecht zum 30.09.2009 zu beenden, überwiegt. Auch hier sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Klägers ganz entscheidend zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen.

Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist zu prüfen, ob anstelle der Kündigung eine mildere Maßnahme angemessen und ausreichend gewesen wäre. Eine ordentliche Kündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur erforderlich (ultima ratio), wenn sie nicht durch mildere Maßnahmen zu vermeiden ist (BAG Urteil vom 15.08.2002 - 2 AZR 514/01 - Juris Rd. 33).

Nach Lage der Dinge kam vorliegend eine Herausnahme des Klägers aus der Gleitzeitregelung und die Einführung einer generellen Pflicht, zu Beginn und Ende jeder Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen, als mildere Maßnahme als die ordentliche Kündigung in Betracht. In Ziffer 8 der BV 47 ist ausdrücklich vorgesehen, dass für Mitarbeiter, die wiederholt diese Arbeitszeitvereinbarung nicht einhalten, eine Einzelfallregelung getroffen wird. Es kann erwartet werden, dass bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen (Stempelpflicht bei jeder Pause) künftige Vertragsverstöße nicht zu besorgen sind. Wenn der Kläger verpflichtet wird, zu Beginn und Ende jeder Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen, kann er sich nur noch die Anwesenheitszeiten vergüten lassen, die er tatsächlich auch gearbeitet hat. Auf eine Ungleichbehandlung mit anderen Mitarbeitern könnte sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht berufen. Zu Gunsten der Beklagten ist zwar in Rechnung zu stellen, dass der Kläger bereits zweimal abgemahnt worden ist. Die Warnfunktion dieser Abmahnungen wird aber dadurch abgeschwächt, dass dem Kläger u.a. vorgeworfen wird, er habe „nicht unmittelbar nach dem Rauchen einer Zigarette“ seine Arbeit aufgenommen. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger dieser Formulierung entnommen hat, es sei ihm erlaubt, Zigarettenpausen innerhalb der Arbeitszeit einzulegen. Die Berufungskammer legt Wert auf die Feststellung, dass weder die lange Dauer der Betriebszugehörigkeit noch das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers als „Freibrief“ missverstanden werden dürfen, arbeitsvertragliche Pflichten zu verletzen, insbesondere - wie hier - die Pausen zu überschreiten.

Gleichwohl ist der Beklagten die dauerhafte Weiterbeschäftigung des Klägers trotz des gezeigten Fehlverhaltens (noch) nicht unzumutbar. Dem Kläger muss allerdings klar sein, dass er sein Arbeitsverhältnis durch sein Fehlverhalten ernsthaft aufs Spiel gesetzt hat, und die Beklagte vergleichbare Pflichtverletzungen in Zukunft nicht mehr wird hinnehmen müssen.

 

III.  Nach alledem ist die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 


http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=13608

Az.: 9 AZR 241/08

 

iehe auch:  Pressemitteilung Nr. 47/09 vom 19.5.2009

 

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 19.5.2009, 9 AZR 241/08

Arbeitsschutz - Anspruch auf rauchfreien Arbeitsplatz - gemischter Betrieb von Spielbank und Gaststätte

Leitsätze

1. Die Ausübung der ua. von § 5 Abs. 2 ArbStättV geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit wird durch gesetzliche Verbote beschränkt.

2. Ist es durch Landesgesetz verboten, in Gaststätten Tabak zu rauchen , und fällt ein dort beschäftigter Arbeitnehmer außerhalb von Rauchergaststätten und Raucherräumen in den Schutzbereich dieses Rauchverbots, kann er nach § 618 Abs. 1 BGB iVm. § 5 Abs. 1 ArbStättV verlangen, auf einem tabakrauchfreien Arbeitsplatz beschäftigt zu werden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2008 - 11 Sa 1910/06 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. September 2006 - 29 Ca 7261/06 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

 

 

1 

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

2 

Der Kläger ist seit 1978 für die beklagte Spielbank mit Sitz in Berlin tätig. Die Beklagte wird täglich von etwa 2.000 Gästen besucht. Der Kläger arbeitet mit der Hälfte der gewöhnlichen Arbeitszeit in Blockteilzeit als Tisch-Chef am Roulettetisch des Spielsaals für das „Klassische Spiel“. Der Spielsaal hat eine Fläche von ca. 2.500 qm und ist ungeteilt. Dort werden verschiedene Spielarten wie Roulette, Black Jack und Poker veranstaltet. In dem Spielsaal gibt es einen räumlich nicht abgetrennten Barbereich, der von einem anderen Unternehmen betrieben wird. Die Beklagte duldet es in allen Spielsälen, dass geraucht wird. Bis zu einem Umzug im Jahr 1998 gab es einzelne Nichtrauchertische. Der Spielsaal für das „Klassische Spiel“ ist mit einer Klimaanlage, einer Be- und Entlüftungsanlage sowie einer Luftbefeuchtungsanlage ausgestattet.

3 

Der Kläger hat behauptet, er leide seit dem Jahr 2000 an chronischer Bronchitis, Entzündungen der Augenschleimhäute und Schwellungen der Nasenschleimhäute. Die Beschwerden seien mit Luftnot, Schweißausbrüchen und einer starken Herz-Kreislauf-Belastung verbunden. Sie verschlimmerten sich zunehmend, wenn er seinen Arbeitspflichten nachkomme. Ohne intensive Medikation könne er seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Der Kläger meint, die Beklagte sei nach § 618 Abs. 1 BGB iVm. § 5 Abs. 1 ArbStättV verpflichtet, ihm einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Ein solcher Anspruch folge seit 1. Januar 2008 jedenfalls aus § 2 des Berliner Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Nichtraucherschutzgesetz - NRSG). Seine grundrechtlich geschützten Gesundheitsbelange hätten Vorrang vor den Interessen der Beklagten an einem Spielbetrieb ohne Rauchverbot.

4 

 

 

Der Kläger hat beantragt,

 

        

die Beklagte zu verurteilen, ihm während seiner Dienstzeit im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

 

 

5 

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Revision sei bereits unzulässig. Die Revisionsbegründung beschränke sich darauf, Berufungsvortrag zu wiederholen, ohne sich mit den Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Die Revision sei jedenfalls unbegründet. Die Klage sei schon nicht hinreichend bestimmt. Zumindest sei sie unbegründet. Es sei der Beklagten wegen der damit verbundenen erheblichen Kosten nicht zuzumuten iSv. § 5 Abs. 2 ArbStättV, dass die Spielsäle in rauchfreie Zonen und Raucherzonen umgebaut würden. Die Klima-, Belüftungs- und Luftbefeuchtungsanlagen sorgten dafür, dass Luftverunreinigungen durch Tabakrauch auf ein Minimum verringert würden. Die in den früheren Räumlichkeiten vorhandenen Nichtraucherspieltische hätten sich nicht bewährt und würden nicht nachgefragt. Das allgemeine Rauchverbot, das der Kläger durchzusetzen versuche, lasse erwarten, dass die Gäste zu Wettbewerbern abwanderten. Das NRSG erfasse Spielbanken nicht. Es sei zudem in den maßgeblichen Teilen verfassungswidrig.

6 

 

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

7 

Die Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klage ist begründet.

8 

A. Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründung entspricht den Anforderungen des § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat ordnungsgemäße Sachrügen iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO erhoben.

9 

I. Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Sie hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die Revisionsbegründung soll durch ihre Kritik an dem angefochtenen Urteil außerdem zur richtigen Rechtsfindung des Revisionsgerichts beitragen (st. Rspr., vgl. etwa Senat 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 16, NZA 2009, 538; BAG 28. Januar 2009 - 4 AZR 912/07 - Rn. 11).

10 

II. Diesen Erfordernissen genügt die Revisionsbegründung entgegen der Ansicht der Beklagten. Der Senat kann das angefochtene Urteil inhaltlich überprüfen.

11 

1. Das Revisionsgericht ist nach § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden. Die sachliche Überprüfung des gesamten Berufungsurteils ist eröffnet, wenn der Revisionskläger in der Revisionsbegründungsfrist eine ordnungsgemäße materielle Rüge erhoben hat (vgl. Senat 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 1 und 4 der Gründe, BAGE 109, 145). Es reicht aus, wenn die Revisionsbegründung überhaupt Gründe darlegt, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil ergeben soll (BAG 17. Juni 2008 - 3 AZR 409/06 - Rn. 17, NZA 2008, 1244; 22. Juli 2003 - 1 AZR 496/02 - zu I der Gründe, BuW 2003, 879).

12 

2. Die Revisionsbegründung wiederholt in weiten Teilen wörtlich die Berufungsbegründung. Sie nennt jedoch einige Gesichtspunkte, die sich mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen.

13 

a) In der Revisionsbegründung ist ua. ausgeführt, das Landesarbeitsgericht stelle den Rechtssatz auf, der Nichtraucherschutz ende dort, wo die Möglichkeit zu rauchen zum unternehmerischen Angebot gehöre. Das NRSG erfasse entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch den Betrieb einer Spielbank. Auf die gesellschaftsrechtliche Zuordnung der Beklagten und des Unternehmens, das den Barbereich im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ betreibe, komme es nicht an.

14 

b) Diese Überlegungen setzen sich hinreichend mit den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts auseinander. Für die Zulässigkeit der Revision ist es unerheblich, ob die Argumente des Klägers überzeugen (vgl. BAG 19. Februar 2002 - 3 AZR 589/99 - zu I der Gründe).

15 

B. Die Revision und die Klage sind begründet.

16 

I. Die Klage ist zulässig. Sie ist ausreichend bestimmt.

17 

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss der Klageantrag so bestimmt sein, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann. Für den Vollstreckungsschuldner muss im Fall einer stattgebenden Entscheidung eindeutig erkennbar sein, was von ihm verlangt wird. Die Prüfung, welche Maßnahmen der Schuldner vorzunehmen oder zu unterlassen hat, darf grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Bestehen mehrere Möglichkeiten, um einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, kann dem Schuldner aber häufig nicht eine von mehreren Handlungsmöglichkeiten vorgegeben werden. Das gilt vor allem für unvertretbare Handlungen iSv. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO wie zB die Bereitstellung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes. In solchen Fällen kann eine weite Bezeichnung der zu erfüllenden Verpflichtung unumgänglich sein. Es bleibt dann dem Schuldner überlassen, wie er seiner Pflicht nachkommt. Ob er die titulierte Pflicht erfüllt hat, ist im Vollstreckungsverfahren zu prüfen (vgl. BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 1 c aa der Gründe mwN, BAGE 110, 252).

18 

2. Der Klageantrag, der darauf gerichtet ist, dem Kläger während seiner Arbeitszeit einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ zur Verfügung zu stellen, ist gemessen an diesen Grundsätzen hinreichend bestimmt.

19 

a) Der Begriff „Arbeitsplatz“ meint die räumliche Unterbringung des Klägers im Spielsaal für das „Klassische Spiel“. Damit ist der Bereich bezeichnet, den die Beklagte dem Kläger als Arbeitsort zuweist und an dem er sich aufhalten muss, um die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu I 1 der Gründe, BAGE 88, 63). Dem entspricht der Begriff des Arbeitsplatzes in § 2 Abs. 2 ArbStättV. Arbeitsplätze sind danach Bereiche von Arbeitsstätten, in denen sich Beschäftigte bei der von ihnen auszuübenden Tätigkeit regelmäßig über einen längeren Zeitraum oder im Verlauf der täglichen Arbeitszeit nicht nur kurzfristig aufhalten müssen. Arbeitsplatz ist nach der Vorstellung des Klägers einer der Spieltische im Spielsaal für das „Klassische Spiel“. Der Kläger erstrebt kein allgemeines Rauchverbot für die ganze Arbeitsstätte iSv. § 5 Abs. 1 Satz 2 1. Alt., § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbStättV, sondern ein auf den Bereich seines Arbeitsplatzes beschränktes Rauchverbot iSv. § 5 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. ArbStättV. Mit dem Zusatz „während der Dienstzeit“ drückt der Kläger eine Selbstverständlichkeit aus. Er will auf der Grundlage von §§ 611, 613, 242 BGB iVm. Art. 1 und 2 GG sowie § 618 Abs. 1 BGB, § 5 Abs. 1 ArbStättV gesetzes- und vertragsgerecht beschäftigt werden.

20 

b) Der Klageantrag ist nicht deswegen unbestimmt, weil der Kläger den Ausdruck „tabakrauchfrei“ verwendet. Es geht ihm ersichtlich nicht um eine absolut schadstofffreie Raumluft. Sein Antrag richtet sich nach gebotener Auslegung auf eine Atemluft, die nach allgemeinem Verständnis tabakrauchfrei ist. Das ist anzunehmen, wenn am Arbeitsplatz des Klägers nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen kein Tabakrauch wahrzunehmen, also nicht zu sehen, nicht zu schmecken und nicht zu riechen ist (vgl. Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu I 2 der Gründe, BAGE 88, 63).

21 

c) Mit dieser Auslegung des Klageantrags wird der Streit der Parteien entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in die Zwangsvollstreckung verlagert. Die Beklagte muss den Urteilsspruch im Fall des Erfolgs der Klage noch selbst konkretisieren. Sie kann nach dem Antrag darin wählen, ob sie während der Arbeitszeit des Klägers dafür sorgt, dass das landesgesetzliche Rauchverbot im gesamten Spielsaal für das „Klassische Spiel“ beachtet wird oder sie die Umsetzung des Rauchverbots auf den dem Kläger zugewiesenen Spieltisch beschränkt und diesen baulich vom Rest des Spielsaals abtrennt. Das der Beklagten eingeräumte Wahlrecht ändert nichts an der Bestimmtheit des Antrags (vgl. BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - zu A I der Gründe, BAGE 90, 316; 8. Mai 1996 - 5 AZR 971/94 - zu A der Gründe, BAGE 83, 95). Ob die Beklagte im Fall des Erfolgs der Klage die richtigen technischen und organisatorischen Maßnahmen treffen und damit ihre titulierte Pflicht zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung erfüllen wird, ist im Vollstreckungsverfahren nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Prozessgericht als Vollstreckungsgericht zu entscheiden (vgl. BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 1 c aa der Gründe mwN, BAGE 110, 252; Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu I 2 der Gründe, BAGE 88, 63).

22 

II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zuweisung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ und entsprechende Beschäftigung (§§ 611, 613, 242 BGB iVm. Art. 1 und 2 GG sowie § 618 Abs. 1 BGB, § 5 Abs. 1 ArbStättV).

23 

1. Nach § 618 Abs. 1 BGB hat der Arbeitgeber als Dienstberechtigter Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Arbeitnehmer als der zur Leistung Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Die Verpflichtung des Arbeitgebers betrifft auch die Beschaffenheit der Atemluft in Arbeitsräumen und an Arbeitsplätzen, wenn dort geraucht wird. Der Arbeitgeber ordnet und leitet die betrieblichen Verhältnisse. Es kommt daher nicht darauf an, dass der Arbeitgeber die Belastung mit Tabakrauch nicht selbst verursacht (vgl. Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 63).

24 

2. § 618 Abs. 1 BGB wird nicht nur durch die Verhältnisse des Einzelfalls konkretisiert, sondern auch von der öffentlich-rechtlichen Vorschrift des § 5 ArbStättV (vgl. Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 63).

25 

a) Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen konkretisieren den Inhalt der Organisationspflichten, die dem Arbeitgeber nach § 618 BGB im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Den Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes kommt eine Doppelwirkung zu, wenn ihre Schutzpflichten über § 618 Abs. 1 BGB in das Arbeitsvertragsrecht transformiert werden. In diesem Fall sind die Arbeitsschutzbestimmungen neben öffentlich-rechtlicher Pflicht zugleich unabdingbare privatrechtliche Pflicht des Arbeitgebers im Sinne eines einzuhaltenden Mindeststandards (vgl. zu § 5 Abs. 1 ArbSchG Senat 12. August 2008 - 9 AZR 1117/06 - Rn. 13 mwN, AP BGB § 618 Nr. 29 = EzA BGB 2002 § 618 Nr. 3).

26 

b) § 5 Abs. 1 ArbStättV hat auch den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers zum Ziel. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV sieht vor, dass der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbStättV hat der Arbeitgeber, soweit erforderlich, ein allgemeines oder auf einzelne Bereiche der Arbeitsstätte beschränktes Rauchverbot zu erlassen. Daran wird deutlich, dass § 5 Abs. 1 ArbStättV in Satz 1 und 2 auch individuelle Schutzziele verfolgt. Die Vorschriften sind deshalb zur Transformation geeignet (vgl. zur Doppelwirkung von § 5 Abs. 1 ArbSchG Senat 12. August 2008 - 9 AZR 1117/06 - Rn. 18 mwN, AP BGB § 618 Nr. 29 = EzA BGB 2002 § 618 Nr. 3).

27 

3. Dem Anspruch des Klägers auf Zuweisung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ stehen weder die Erforderlichkeitseinschränkungen in § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbStättV noch § 5 Abs. 2 ArbStättV entgegen. § 5 Abs. 2 ArbStättV sieht vor, dass der Arbeitgeber in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr Schutzmaßnahmen nach § 5 Abs. 1 ArbStättV nur insoweit zu treffen hat, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen.

28 

4. Der Beklagten ist es nicht unzumutbar, Schutzmaßnahmen gegen Tabakrauch zu treffen.

29 

a) Die Zumutbarkeitsschranken des § 5 ArbStättV können den Schutz des Arbeitnehmers vor Tabakrauch zurückdrängen. Derartige Schranken bestehen jedoch lediglich dann, wenn die unternehmerische Betätigungsfreiheit im Einzelfall rechtmäßig ausgeübt wird. Bei rechtmäßiger Betätigung kann der Arbeitnehmer keine Maßnahmen zum Schutz seiner Gesundheit verlangen, die zu einer Veränderung oder zu einem faktischen Verbot dieser Betätigung führten. Verbleibende Beeinträchtigungen seiner Gesundheit muss der Arbeitnehmer grundsätzlich hinnehmen. § 618 Abs. 1 BGB iVm. § 5 Abs. 1 ArbStättV ist keine Generalklausel, die im Interesse des Arbeitnehmerschutzes das Verbot solcher Betätigungen ermöglicht, die gewerberechtlich und nach anderen Vorschriften erlaubt sind. Die hohe Wertigkeit, die die durch § 618 BGB geschützten Rechtsgüter Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG haben, ändert daran nichts. Das bedeutet, dass der Unternehmer im Grundsatz frei darüber entscheiden kann, ob er eine erlaubte Tätigkeit ausüben will. Eine gerichtliche Überprüfung kann sich dann nur darauf erstrecken, ob die unternehmerische Entscheidung offenbar unsachlich oder willkürlich ist (vgl. zu § 618 BGB, nicht zu § 5 ArbStättV BAG 8. Mai 1996 - 5 AZR 971/94 - zu B I 2 a und b der Gründe, BAGE 83, 95). Daran ist festzuhalten.

30 

b) Anderes gilt, wenn es sich nicht um eine rechtlich zulässige Ausübung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit handelt, bei der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einsetzt (vgl. BAG 8. Mai 1996 - 5 AZR 971/94 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 83, 95). Die Ausübung der ua. von § 5 Abs. 2 ArbStättV geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit wird durch gesetzliche Verbote beschränkt.

31 

c) Ein solches Verbot ist im Streitfall zu beachten.

32 

aa) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht § 1 Abs. 1 BNichtrSchG anzuwenden. Die Beklagte ist keine Einrichtung und kein Verfassungsorgan des Bundes, kein Verkehrsmittel des öffentlichen Personenverkehrs und kein Personenbahnhof der öffentlichen Eisenbahnen (vgl. näher Düwell FA 2008, 74, 75; derselbe jurisPR-ArbR 20/2008 Anm. 6).

33 

bb) Das Tabakrauchen im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ ist jedoch nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Berliner Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit vom 16. November 2007 (Nichtraucherschutzgesetz - NRSG, GVBl. für Berlin S. 578) verboten.

34 

(1) Der Spielbankbetrieb ist nicht rechtmäßig, wenn im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ Tabak geraucht wird. Die gesetzgeberische Vorgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG schränkt die unternehmerische Betätigungsfreiheit der Beklagten hinsichtlich der Natur der Dienstleistung iSv. § 618 Abs. 1 BGB sowie der Natur des Betriebs und der Art der Beschäftigung iSv. § 5 Abs. 2 ArbStättV ein. Wegen des hier zu beachtenden landesgesetzlichen Rauchverbots kann offenbleiben, ob für die Zuweisung tabakrauchfreier Arbeitsplätze an dem bisher herangezogenen Kriterium der individuellen und konkreten Gesundheitsgefährdung festzuhalten ist, wenn kein gesetzliches Rauchverbot verhängt ist (zu dem Erfordernis der individuellen Gesundheitsgefährdung Senat 17. Februar 1998 - 9 AZR 84/97 - zu II 1 und 2 der Gründe, BAGE 88, 63; für die Aufgabe dieser Voraussetzung insbesondere mit Blick auf Art. 8 der Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation Düwell FA 2008, 74, 77).

35 

(2) Der Senat hat das bei Schluss der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2009 noch geltende NRSG idF vom 16. November 2007 anzuwenden. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Drucks. 16/2324 des Abgeordnetenhauses Berlin) am 30. April 2009 beschlossen. Das Änderungsgesetz war am 19. Mai 2009 aber noch nicht verkündet. Es tritt nach seinem Art. II erst am Tag nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft.

36 

(3) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG ist das Tabakrauchen nach Maßgabe des Absatzes 2 und des § 4 in Gaststätten iSd. § 3 Abs. 7 einschließlich Clubs und Diskotheken verboten. § 3 Abs. 7 NRSG bestimmt, dass Gaststätten im Sinne dieses Gesetzes Einrichtungen nach § 1 des Gaststättengesetzes sind. Ein Gaststättengewerbe iSd. Gaststättengesetzes betreibt nach § 1 Abs. 1 GastG, wer im stehenden Gewerbe Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Schankwirtschaft) oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Speisewirtschaft), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Gewerbe iSd. auch im Gaststättenrecht heranzuziehenden Gewerbebegriffs der GewO ist jede auf eine gewisse Dauer berechnete und auf Gewinnerzielung gerichtete selbständige Tätigkeit, die sich als Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr darstellt. Ausgenommen sind die Urproduktion, die Verwaltung des eigenen Vermögens, die freien Berufe und sozial unwertige Betätigungen (Michel/Kienzle/Pauly Das Gaststättengesetz 14. Aufl. § 1 Rn. 1).

37 

(4) Der Spielsaal für das „Klassische Spiel“ erfüllt nach dem im Wortlaut zum Ausdruck gekommenen Zweck des NRSG den Gaststättenbegriff.

38 

(a) Es ist unschädlich, dass die Getränke - und ggf. Speisen - im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ von einem anderen Unternehmen als der Beklagten angeboten werden.

39 

(aa) Der in § 2 Abs. 1 Nr. 8 iVm. § 3 Abs. 7 NRSG in Bezug genommene Gaststättenbegriff des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG stellt für Schankwirtschaften ausschließlich auf die Verabreichung von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im stehenden Gewerbe ab. Er knüpft nicht an die handelnde natürliche oder juristische Person an, wenn die Räumlichkeiten der Spielbank und der Bar - wie hier - nicht baulich getrennt sind.

40 

(bb) Im Spielsaal für das „Klassische Spiel“, in dem der Kläger beschäftigt wird, werden zumindest Getränke verabreicht. Zutritt haben volljährige Gäste, die sich durch Personalausweis oder Pass ausweisen können. Aus der fehlenden baulichen Trennung des Spiel- und des Barbetriebs folgt, dass es sich gaststättenrechtlich um einen sog. gemischten Betrieb handelt, in dem in Gewinnerzielungsabsicht neben einer Spielbank iSv. § 33h Nr. 1 GewO zugleich eine Gaststätte iSv. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG betrieben wird (vgl. zum Mischbetrieb Michel/Kienzle/Pauly § 1 Rn. 52 f.). Die rechtliche Trägerschaft zweier unterschiedlicher juristischer Personen zeigt, dass der gastgewerbliche Teil des Betriebs dem Spielbankbetrieb nicht untergeordnet ist. Das Rauchverbot des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG erfasst wegen der fehlenden räumlich-baulichen Trennung sowohl den Gaststätten- als auch den Spielbankbetrieb.

41 

(b) Der Katalog des § 2 Abs. 1 NRSG hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen möglichst umfassenden Schutz der Bürger vor Passivrauchbelastung zum Ziel (vgl. Drucks. 16/0716 des Abgeordnetenhauses Berlin, Begründung Allgemeines Abs. 3 Unterabs. 1, siehe auch Einzelbegründung zu § 1 Abs. 1). Dieser Schutzzweck kommt im Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG hinreichend zum Ausdruck. Danach ist das Tabakrauchen in Gaststätten im Sinne des § 3 Abs. 7 einschließlich Clubs und Diskotheken verboten. Der Gaststättenbegriff ist uneingeschränkt. Die Begriffe „Clubs“ und „Diskotheken“ sind der Aufzählung erklärend und vervollständigend hinzugefügt. Sie sollen den allgemeinen Gaststättenbegriff dagegen nicht relativieren, sondern dienen dazu, Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten zu begegnen. Sie sollen den Gaststättenbegriff konturieren und nötigenfalls ausweiten.

42 

cc) Das Rauchverbot in § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG ist für den Streitfall erheblich, obwohl das Bundesverfassungsgericht erkannt hat, dass diese Norm idF des NRSG vom 16. November 2007 mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist (BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 90 ff., BVerfGE 121, 317).

43 

(1) Ein Rauchverbot in Gaststätten ist zwar nicht schlechthin mit der Verfassung unvereinbar. Die Verfassungswidrigkeit der konkreten Regelung ergibt sich aber daraus, dass der Berliner Landesgesetzgeber bei den von ihm gewählten Ausgestaltungen des Nichtraucherschutzes keine Regelungen getroffen hat, die auch mit Rücksicht auf die besonderen Belastungen einer bestimmten Gruppe von Gaststättenbetreibern insgesamt zumutbar erscheinen. § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG ist nicht verhältnismäßig im engeren Sinn, weil die Vorschrift Betreiber kleinerer Einraumgaststätten mit getränkegeprägtem Angebot in unzumutbarer Weise belastet (BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 90, 116 f., BVerfGE 121, 317).

44 

(2) Die Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG führt nicht zur Nichtigkeit des dort verhängten Rauchverbots.

45 

(a) Dem Landesgesetzgeber bleiben mehrere Möglichkeiten für die Neuregelung. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Unvereinbarkeit der gegenwärtigen Regelung mit dem Grundgesetz festgestellt. Dem Abgeordnetenhaus von Berlin steht für den Erlass einer verfassungsgemäßen Neuregelung eine Frist bis 31. Dezember 2009 zur Verfügung. § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG bleibt in der Zwischenzeit wegen der hohen Bedeutung des Schutzes der Bevölkerung vor den Gefahren des Passivrauchens bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung anwendbar. Das Rauchen in Gaststätten ist in Berlin weiterhin untersagt (BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 161 f. und 166, BVerfGE 121, 317).

46 

(b) Das vom Berliner Abgeordnetenhaus bereits beschlossene, aber noch nicht verkündete Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit hält im Übrigen an § 2 Abs. 1 Nr. 8 und § 3 Abs. 7 NRSG fest. Der Landesgesetzgeber hat in § 4a des Änderungsgesetzes lediglich eine Ausnahmeregelung für getränkegeprägte Einraumgaststätten geschaffen. Danach darf ein Betreiber eine Gaststätte als Rauchergaststätte kennzeichnen, wenn die Gaststätte nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügt, die Grundfläche des Gastraums weniger als 75 qm beträgt, Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt erhalten, keine vor Ort zubereiteten Speisen verabreicht und weitere formelle Erfordernisse beachtet werden. Dieser Ausnahmebestimmung unterfällt der gemischte Betrieb im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ schon aufgrund seiner Größe von ca. 2.500 qm nicht.

47 

(3) Das Rauchverbot des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG ist bei der Prüfung der zulässigen Ausübung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 ArbStättV zu beachten, obwohl dem Bund für den Arbeitsschutz eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zukommt (vgl. BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 98, BVerfGE 121, 317).

48 

(a) Der Landesgesetzgeber verfolgt nach der Begründung des NRSG auch den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals (vgl. Drucks. 16/0716 des Abgeordnetenhauses Berlin, Begründung Allgemeines Abs. 3 Unterabs. 1 aE, siehe auch Einzelbegründung zu § 3 Abs. 7 letzter Abs.).

49 

(b) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn auch der Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals zum Anliegen eines Landesnichtraucherschutzgesetzes gemacht wird.

50 

(aa) Von dem Ziel des Schutzes der Gesamtbevölkerung durch ein Rauchverbot in Gaststätten muss der Landesgesetzgeber die im Gastronomiegewerbe Beschäftigten nicht ausnehmen. Für die Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern in Art. 74 GG ist der Gegenstand des jeweiligen Gesetzes maßgebend, nicht das vom Gesetzgeber in den Blick genommene Gemeinwohlziel. Wirkt der angestrebte Schutz aller vor den Gefahren des Passivrauchens in Gaststätten zugleich zugunsten der dort Beschäftigten, berührt dies hinsichtlich der Arbeitnehmer nicht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Arbeitsschutz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG greift nicht ein (BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 98 f., BVerfGE 121, 317; aA die abweichende Meinung des Richters Masing zu dieser Entscheidung Rn. 189).

51 

(bb) Der Landesgesetzgeber muss allerdings den Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG beachten, wenn Regelungen des Bundes- und des Landesrechts auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen. Während das Landesnichtraucherschutzgesetz Baden-Württemberg eine Kollision mit den Vorschriften der ArbStättV durch eine ausdrückliche Bestimmung vermeidet, nach der die Regelungen der ArbStättV von den Bestimmungen des Landesnichtraucherschutzgesetzes unberührt bleiben sollen, fehlt im NRSG eine vergleichbare Vorschrift. Das kann wegen abweichender Rechtsfolgen zur Kollision mit Bundesrecht führen. Nach § 4 Abs. 5 NRSG sind bei sämtlichen Ausnahmen vom Rauchverbot, also auch bei der Einrichtung von Raucherräumen in Gaststätten Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen auszuschließen. Die Bestimmung kann für Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr im Hinblick auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer in Konflikt mit den Zumutbarkeitsschranken des § 5 Abs. 2 ArbStättV geraten. Die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung lassen Schutzmaßnahmen für die nicht rauchenden Arbeitnehmer in Raucherräumen von Gaststätten regelmäßig nicht zu (vgl. BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 99, BVerfGE 121, 317).

52 

(cc) § 4 Abs. 5 NRSG ist jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die die Kollision von Bundes- und Landesrecht und damit die Nichtigkeit der landesgesetzlichen Regelung wegen Verstoßes gegen den Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG vermeidet. Die Arbeitnehmer sollen nicht vor der Passivrauchbelastung in Raucherräumen geschützt werden. Vielmehr soll nur der Nichtraucherschutz außerhalb der Raucherräume sichergestellt werden, indem etwa zu verhindern ist, dass Tabakrauch in die angrenzenden Räumlichkeiten eindringt (vgl. BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 100, BVerfGE 121, 317).

53 

(c) Der Kläger fällt nach diesen Grundsätzen in den Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG. Der allgemeine Schutzzweck dieser Norm wirkt sich nicht nur zugunsten der Gäste der Spielbank, sondern außerhalb von Raucherräumen auch auf die Rechte des Klägers als Arbeitnehmer aus.

54 

(aa) Die Parteien sind sich darin einig, dass der Kläger vertragsgerecht im Spielsaal für das „Klassische Spiel“ zu beschäftigen ist. Es ist deshalb nicht entscheidend, ob die höheren Anforderungen gewahrt wären, die eine Konkretisierung seiner Tätigkeit auf diesen Spielsaal stellte.

55 

(bb) Der Spielsaal für das „Klassische Spiel“ ist jedenfalls bislang kein abgetrennter Nebenraum iSv. § 4 Abs. 3 Satz 1 NRSG. Danach können die Betreiberin oder der Betreiber in der Gaststätte abgetrennte Nebenräume einrichten, in denen das Rauchen erlaubt ist, wenn voneinander getrennte und abgeschlossene Räume sowohl für rauchende Gäste als auch für nicht rauchende Gäste zur Verfügung stehen. Die Begründung zu § 4 Abs. 3 NRSG verlangt, dass die Anzahl der Plätze im Nichtraucherbereich deutlich höher sein muss als die Anzahl der Plätze im Raucherraum (vgl. Drucks. 16/0716 des Abgeordnetenhauses Berlin, Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 der Einzelbegründung zu § 4 Abs. 3). Diesen Erfordernissen für einen Rauchernebenraum genügt der Spielsaal für das „Klassische Spiel“ nicht. Es handelt sich aufgrund seines Angebots an Spielen und seiner Größe erkennbar um einen der zentralen Spielsäle der beklagten Spielbank und nicht um einen Nebenraum. Der Kläger genießt außerhalb abgetrennter Raucherräume denselben Schutz wie die Gäste der Spielbank aus dem Rauchverbot des § 2 Abs. 1 Nr. 8 NRSG (vgl. BVerfG 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07, 402/08 und 906/08 - Rn. 98 bis 100, BVerfGE 121, 317).

56 

 

 

C. Die unterlegene Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

 


Az.: L6 AL 24/05

 

Vollständige Entscheidung unter dem unten angegebenen Link nicht mehr im Internet, dafür siehe hier:

http://www.ra-kotz.de/passivrauchbelastung.htm

http://www.der-betrieb.de/content/arbeitsrecht/meldungen/meldung/dft,0,218582

 

In Kürze:

http://www.kostenlose-urteile.de/newslistview.CW2502.htm?view=4198&pos=50%3A1&referrer=news8668

 



 

Formularbeginn

06.09.2007

 

 

   Entscheidung

 

 

   

 

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Spruchkörper:

6. Senat

Aktenzeichen*:

L 6 AL 24/05

Instanzenaktenzeichen:

S 12 AL 1342/03

Instanzgericht:

Sozialgericht Gießen

Gericht*:

Hessisches Landessozialgericht

Entscheidungstyp*:

Urteil

Entscheidungsdatum*:

11.10.2006   rechtskräftig

Schlagworte:

Passivrauchen; Gesundheitsgefährdung; Beschäftigungsverhältnis; Aufgabe; Sperrzeit; wichtiger Grund; Zumutbarkeit; Abhilfeverlangen

Normen:

SGB III § 144; ArbStättV § 5; SGB IV § 7

Leitsatz:

Nach dem gegenwärtigen medizinischen Wissensstand können Dosis-Schwellenwerte, bei denen Nichtraucher durch Passivrauch keiner zu vernachlässigenden Gesundheitsgefährdung ausgesetzt sind, nicht angegeben werden. Scheitert die Intervention eines Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber, am Arbeitsplatz nicht dem Passivrauchen ausgesetzt zu werden, kommt es deshalb weder auf die persönliche Disposition des Arbeitnehmers noch auf die Intentsität der Belastung der Atemluft durch Tabakrauch an, wenn nach einer solchen Intervention an einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis durch denjenigen Arbeitnehmer, der sich dem Passivrauchen nicht weiter aussetzen will, nicht mehr festgehalten wird. Bei einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach einer solchen Intervention bleibt daher bei dieser Fallgestaltung für die Feststellung einer Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld kein Raum.

Veröffentlichungen:

 

Sachgebiet:

Sozialrecht/Arbeitslosenversicherung

Bemerkungen:

 


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Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit des Eintritts einer 6-wöchigen Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld ab dem 9. April 2003 und die damit einhergehende Minderung des Leistungsanspruchs um 42 Tage streitig.

Der Kläger ist 1964 geboren. Vor dem streitbefangenen Zeitraum war er zuletzt in der Zeit vom 26. März 2001 bis zum 31. Januar 2003 als Montagearbeiter bei Fa. K. GmbH, C-Stadt, beschäftigt. Daran anschließend bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Am 17. März 2003 nahm der Kläger eine Beschäftigung als Optikerhelfer bei Fa. M. Feinmechanik, C-Stadt, auf. Nach dem am 20. Februar 2003 abgeschlossenen Arbeitsvertrag war eine Probezeit von drei Monaten vereinbart, nach deren Ablauf das Arbeitsverhältnis enden und nur bei Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages fortgesetzt werden sollte. Während der Probezeit konnte das Arbeitsverhältnis beiderseitig bei einer Frist von zwei Wochen zum Wochenschluss gekündigt werden. Vereinbart war eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden bei einem Stundenlohn von 11,-- . Dieses Arbeitsverhältnis war aufgrund einer eigenen Stellensuche des Klägers zustande gekommen. Bei Fa. M. waren zum damaligen Zeitpunkt 11 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt; einen Betriebsrat gab es bei Fa. M. nicht.

Am Dienstag, dem 8. April 2003 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Inhaber der Fa. M., Herrn M.. Inhalt dieses Gesprächs war das - vom Firmeninhaber im gesamten Betrieb erlaubte - Rauchen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fa. M. Der Kläger, selbst Nichtraucher, hat bei diesem Gespräch gegenüber Herrn M. diese Raucherlaubnis und die darauf aus seiner Sicht sich ergebende Beeinträchtigung beanstandet, da überall im Betrieb geraucht werde und er – der Kläger – dies gesundheitlich nicht vertrage. Herr M. bedeutete dem Kläger bei diesem Gespräch, dieser müsse das Rauchproblem überstehen. Gleichzeitig wurde dem Kläger freigestellt, den Betrieb zu verlassen. Das hat der Kläger auch getan. Die weiteren Einzelheiten über das Zustandekommen sowie den Inhalt des zwischen dem Kläger und Herrn M. geführten Gesprächs und der Umstände des Verlassens des Betriebsgeländes durch den Kläger sind zwischen den Beteiligten umstritten.

Noch am 8. April 2003 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld.
Die Beklagte hörte den Kläger und dessen Arbeitgeber zu den Vorkommnissen am 8. April 2003 an. Der Kläger äußerte sich dabei dahingehend, er sei Nichtraucher und vertrage auch den Rauch anderer nicht. Weil er dies beanstandet habe, habe ihn Herr M. einfach „rausgeschmissen“. Seine Versuche um Abhilfe seien ohne Erfolg geblieben. Herr M. seinerseits gab gegenüber dem Arbeitsamt auf eine telefonische Rückfrage hin an, der Kläger habe bei ihm vorgesprochen und habe eine schriftliche Kündigung haben wollen, was er – Herr M. – jedoch abgelehnt habe. Nach dem Gespräch mit ihm habe der Kläger seine Zeitkarte abgestempelt, diese zurückgegeben und die Firma verlassen.

Durch Bescheid vom 24. April 2003 stellte die Beklagte daraufhin unter Berufung auf § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch III (SGB III) den Eintritt einer 6-wöchigen Sperrzeit für den Zeitraum vom 9. April 2003 bis zum 20. Mai 2003 fest und damit einhergehend eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 42 Tage. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis zum 8. April 2003 bei Fa. M. selbst gelöst. Er habe voraussehen müssen, dadurch arbeitslos zu werden. Soweit der Kläger sein Verhalten damit begründet habe, kein Raucher zu sein, in der Firma aber geraucht worden sei und er dies nicht vertrage, könne dies unter Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft den Eintritt einer Sperrzeit nicht abwenden. Die Sperrzeit sei auf sechs Wochen reduziert worden, weil das Arbeitsverhältnis ohnehin in absehbarer Zeit geendet hätte.

Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Er trug erneut vor, bei Fa. M. werde viel geraucht. Er habe seine Arbeitskollegen mehrfach darum gebeten, das Rauchen zu unterlassen, habe aber für seine Situation kein Verständnis gefunden, er sei vielmehr ausgelacht worden. Am 8. April 2004 habe sich morgens die Situation als besonders schlimm dargestellt. Als er den Arbeitsraum betreten habe, sei die Rauchentwicklung so stark gewesen, dass er sich habe erbrechen müssen. Daraufhin habe er mit dem Chef gesprochen, dieser habe aber erklärt, er – der Kläger – sei NB., so dass er ihn nicht mehr brauche. Nicht er selbst habe das Arbeitsverhältnis gelöst, sondern sein Chef. Dieser habe ihn aufgefordert seine Zeitkarte abzustempeln und diese der Sekretärin zu geben. So sei er dann auch verfahren.

Durch Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2003 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid ist ausgeführt, das Arbeitsverhältnis habe am 8. April 2000 durch eine zumindest konkludente Eigenkündigung des Klägers geendet. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe der Kläger jedoch nicht gehabt. Zumindest bis zur Aufnahme einer Anschlussbeschäftigung wäre ihm vielmehr die Fortsetzung des ohnehin befristeten Arbeitsverhältnisses zumutbar gewesen. Die angeführte Rauchbelästigung durch seine Kollegen sei allein für sich genommen noch kein Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses. Ein ärztliches Attest über eine akute Rauchunverträglichkeit habe der Kläger nicht vorgelegt. Damit sei das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht ausreichend dargelegt bzw. nachgewiesen. Dies ziehe nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch III (SGB III) grundsätzlich eine 12-wöchtige Sperrzeit nach sich. Weil das Arbeitsverhältnis von vornherein befristet gewesen und innerhalb von 12 Wochen nach dem Sperrzeitereignis ohnehin geendet hätte, sei die Dauer der Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2a SGB III auf lediglich 6 Wochen begrenzt worden. Der Eintritt der 6-wöchtigen Sperrzeit bedinge darüber hinaus jedoch die Minderung der Anspruchsdauer gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III um 42 Tage.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und seine Äußerung im Verwaltungsverfahren wiederholt. Er hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Schriftform bedürfe. Eine solche schriftliche Kündigung sei durch ihn jedoch nicht erfolgt. Im Übrigen gebe es aber auch keine schriftliche Kündigung seines damaligen Arbeitgebers.

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2004 den Kläger persönlich angehört und Herrn M. sowie Frau D., Arbeitskollegin des Klägers bei Fa. M., als Zeugen zu den Umständen des Arbeitsverhältnisses einvernommen. Die Zeugen haben bei ihrer Einvernahme bestätigt, dass in der Werkhalle, in der sich auch der Arbeitsplatz des Klägers befunden hat, mit Genehmigung des Firmeninhabers geraucht werde.

Durch Urteil vom selben Tage hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung der Beklagten bestätigt, wonach der Kläger für die Arbeitsaufgabe keinen wichtigen Grund gehabt habe. Dabei sei es rechtlich unbeachtlich gewesen, ob das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt worden sei. Denn vorliegend sei allein auf das Beschäftigungsverhältnis abzustellen, das jedoch tatsächlich am 8. April 2003 gelöst worden sei. Die Lösung dieses Beschäftigungsverhältnisses sei durch den Kläger veranlasst worden, der damit zumindest grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe, weil es an einer konkreten Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz gefehlt habe. Einen wichtigen Grund für die Lösung dieses Beschäftigungsverhältnisses habe der Kläger nicht gehabt. Bei der Feststellung eines wichtigen Grundes für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sei insbesondere zu beachten, dass der wichtige Grund nicht nur die Auflösung an sich, sondern auch den Zeitpunkt der Auflösung abdecken müsse. Es sei deshalb zu prüfen gewesen, ob für den Kläger die Aufgabe seiner Beschäftigung zu einem späteren Zeitpunkt zumutbar gewesen wäre. Dem Kläger müsse insoweit vorgehalten werden, bis zum Ablauf der Befristung keine weiteren Arbeitsversuche unternommen zu haben. Zwar sei grundsätzlich der Schutz vor dem Mitrauchen anerkannt. Allerdings sei es dem Arbeitnehmer zuzumuten, dass er sich zunächst an den Arbeitgeber wende und diesen zur Abhilfe auffordere. Zudem müsse berücksichtigt werden, wie sich die Rauchintensität konkret gestalte. Überdies müsse der Arbeitnehmer evtl. eine gewisse Zeit der Rauchbelastung aushalten, wenn in absehbarer Zeit ein anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger habe im Übrigen das Entstehen und Vorliegen gesundheitlicher Leiden durch das Rauchen nicht nachgewiesen. Zwar habe sich bei der Beweisaufnahme bestätigt, dass während der Arbeitszeit geraucht worden sei, es sei jedoch nicht bewiesen, dass die Rauchintensität solche Ausmaße angenommen habe, dass das einzige dem Kläger zumutbare Verhalten die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses gewesen sei. Zwar habe insbesondere die Zeugin D., mit der der Kläger in seiner Einarbeitungszeit enger habe zusammenarbeiten müssen, bekundet, dass sie nicht nur in den Pausen rauche und es auch vorkommen könne, dass für gewisse Zeit eine angezündete Zigarette im Aschenbecher liegen bleibe. Sie habe jedoch ebenfalls ausgesagt, dass es in der Firma keine Kettenraucher gebe, wobei sie als Kettenraucher jemanden bezeichne, der sich alle fünf Minuten eine neue Zigarette anstecke. Die Zeugin D. habe jedoch ausgesagt, dass sie pro Stunde nur eine bis zwei Zigaretten rauche. In Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen M. habe die Zeugin D. im Übrigen bekundet, dass in der Firma nicht in einem so erheblichen Maße geraucht werde, dass die auszuliefernden Waren selbst nach Rauch röchen oder Schaden nähmen. Auch werde über die Fenster ausreichend gelüftet. Weil das Rauchen noch keine solch hohe Intensität erreicht habe, dass eine Reduzierung der Mitwirkungspflicht des Klägers an der Verbesserung dieser Zustände auf „Null“ in Betracht gekommen sei, hätte der Kläger zur Vermeidung oder zur Verbesserung dieser Zustände auf den Arbeitgeber zugehen und ihn ggfs. mehrfach bitten müssen, bezüglich der Rauchbelastung zumindest für Besserung zu sorgen. Dieser Aspekt werde verstärkt durch die Tatsache, dass dem Kläger schon vor seiner Einstellung bekannt gewesen sei, dass in der Firma geraucht werde. Nicht als erwiesen sei es anzusehen, dass der Kläger versucht habe, mit dem Arbeitgeber eine Lösung zu finden und mit diesem darüber zu sprechen. Es sei vielmehr so gewesen, dass der Arbeitgeber den Kläger zu sich gerufen habe, nachdem sich in der Firma die Streitigkeiten bis zu ihm herumgesprochen hätten, anstatt dass der Kläger dieses Gespräch gesucht habe. Auch hätte der Kläger am nächsten Tag nach Verlassen der Firma erneut versuchen müssen, die Beschäftigung wieder aufzunehmen, um die bestehenden Obliegenheitspflichten nicht zu verletzen. Alles in allem sei demnach der Eintritt einer 6-wöchtigen Sperrzeit als rechtmäßig anzusehen gewesen.

Gegen das dem Kläger am 4. Januar 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Februar 2005 eingegangene Berufung. Der Kläger hält den Eintritt einer 6-wöchigen Sperrzeit nicht für gerechtfertigt. Grundsätzlich sei jeder Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB schwer genug, um eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer zu rechtfertigen. Ein solcher Grund sei vorliegend vorhanden gewesen. Im Rahmen von § 626 BGB sei nämlich anerkannt, dass für den Fall der Missachtung zwingender Arbeitsschutzvorschriften eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers gerechtfertigt sei. Zu diesen Arbeitsschutzvorschriften gehörten aber auch die Vorschriften über den Nichtraucherschutz. So habe nach § 5 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nichtrauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt seien. Die Arbeitsstättenverordnung unterscheide insoweit für die Verpflichtung zum Nichtraucherschutz nicht nach der Größe des Betriebes. Auch in kleineren Betrieben treffe den Arbeitgeber deshalb dieselbe Schutzpflicht wie in Großbetrieben. Vorliegend habe sich durch die Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht bestätigt, dass in der Firma überall geraucht werde, und zwar nicht nur in den Pausen, sondern auch während der Arbeit und dies auch vom Arbeitgeber gestattet werde. § 5 der Arbeitsstättenverordnung trage dabei den eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung, die grundsätzlich von einer Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens ausgingen. Der Nichtraucherschutz sei deshalb nicht – wie früher – lediglich auf die Pausen-, Bereitschafts- und Liegeräume beschränkt, sondern auf den gesamten Betrieb. Komme der Arbeitgeber seiner Schutzpflicht durch bauliche, technische oder organisatorische Maßnahmen nicht nach, müssten sich Nichtraucher nicht zum Dulden des Rauchens drängen lassen und Kulanzregelungen wie z.B. rauchfreie halbe Tage, Beschränkung der Anzahl der gerauchten Zigaretten usw. nicht hinnehmen. Weil er – der Kläger – innerhalb des Betriebes ständig dem Tabakrauch ausgesetzt gewesen sei, komme es auch nicht darauf an, ob stündlich ein bis zwei Zigaretten oder ob alle 10 Minuten eine Zigarette geraucht werde. Der Nichtraucherschutz greife im Übrigen unabhängig davon, ob nichtrauchende Beschäftigte sich durch Tabakrauch belästigt oder gesundheitlich beeinträchtigt fühlten oder nicht. Jede Zigarette sei zuviel.

Vorliegend habe er – der Kläger – sich bei seinem Arbeitgeber beschwert und, wie die Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht ergeben habe, von diesem zur Antwort erhalten, dass er das Rauchproblem überstehen müsse. Damit habe er sich jedoch nicht abfinden müssen. Passivrauchen sei mehr als eine bloß subjektive Belästigung. Tabakrauch am Arbeitsplatz gehöre zur höchsten Gefahrenstufe krebserzeugender Arbeitsstoffe. Weil eine Bereitschaft auf Seiten des Arbeitgebers, Änderungen vorzunehmen, nicht bestanden habe, habe er nicht länger zuwarten müssen, sondern sei berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob ihm zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich bei Fa. M. vorgestellt habe, die Intensität der Rauchbelästigung bekannt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit ab dem 9. April 2003 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte führt aus, das Rauchverhalten in der Firma sei dem Kläger bereits vor seiner Einstellung bekannt gewesen. Nach seiner Arbeitsaufnahme habe es auch keine diesbezüglichen Beschwerden des Klägers gegeben. Es sei auch nicht der Kläger gewesen, der ein Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht habe, um diesen aufzufordern, wegen des Tabakrauchs Abhilfe zu schaffen. Vielmehr habe der Arbeitgeber das Gespräch wegen entstandener Unruhe im Betrieb initiiert. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 SGB III sei unter diesen Umständen nicht zu erkennen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird im Übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte, sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (KdNr. xxx) Bezug genommen. Bezug genommen wird auch auf die Veröffentlichungen zum Passivrauchen in Deutsches Ärzteblatt, S. A 5 vom 9. Januar 2006 („Passivrauchen – Mehr als 3000 Opfer jährlich“), auf Band 5 der Veröffentlichungen des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (Hrsg.) „Passivrauchen – ein unterschätztes Gesundheitsrisiko“, 2. Aufl. 2006, sowie den in den Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag vom 25. September 2006 (BTDrucks. 16/2730), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG ) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist auch begründet. Die ergangenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Dem Kläger, der insbesondere die in §§ 117 ff. SGB III geforderten Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit, der Arbeitslosmeldung und der Anwartschaftszeit erfüllt, steht für den streitbefangenen Zeitraum Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu.

Der Anspruch des Klägers hat auch nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III geruht, wie das die Beklagte – und mit ihr das Sozialgericht – angenommen hat.

Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt dann eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Nach Satz 2 dieser Bestimmung i.d.F. des Zweiten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, S. 4621) hat der Arbeitslose die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen. Nach § 144 Abs. 2 SGB III beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Zutreffend ist die Auffassung des Sozialgerichts, wonach es am 8. April 2003 tatsächlich zu einer Lösung des zuvor zwischen dem Kläger und Fa. M. bestehenden - leistungsrechtlichen - Beschäftigungsverhältnisses (§ 7 Sozialgesetzbuch IV - SGB IV) gekommen ist. Denn der Kläger hat am 8. April 2003 den Betrieb der Fa. M. verlassen. Auch sein damaliger Arbeitgeber hat auf die Fortführung der Beschäftigung nicht bestanden, so dass jedenfalls die sozialrechtlichen Beziehungen zwischen dem Kläger und Fa. M. faktisch ein Ende gefunden haben (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 9.9.1993 - 7 RAr 96/92 = SozR 3-4100 § 101 Nr. 4 m.w.N.). Darauf, ob nach a r b e i t s r e c h t l i c h e n Kriterien das eingegangene Arbeitsverhältnis gegebenenfalls noch über den 8. April 2003 hinaus - etwa im Hinblick auf eine fehlende schriftliche Kündigung - fortbestanden haben könnte, kommt es vorliegend insoweit deshalb nicht mehr an (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.2003 - 8/ AL 35/03 R = SozR 4-4300 § 144 Nr. 6, m.w.N.).

Nicht entscheidend ist auch, ob - wie die Beklagte meint - die faktische Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Kläger oder aber aus verhaltensbedingten Gründen durch den damaligen Arbeitgeber des Klägers erfolgt ist. Denn hinsichtlich beider Alternativen stand dem Kläger für sein eigenes Verhalten gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber jedenfalls ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 Abs. 1 SGB III zur Seite, der ein Festhalten an dem bestehenden Beschäftigungsverhältnis als nicht mehr geboten erscheinen lässt und deshalb den Eintritt einer Sperrzeit ausschließt.

Was als "wichtiger Grund" im Sinne von § 144 Abs. 1 SGB III anzusehen ist, wird in dieser Bestimmung nicht näher definiert. Die dort getroffene Sperrzeitregelung beruht auf dem Grundgedanken, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat, oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSG, Urteil v. 13.8.1986 - 7 RAr 1/86 = SozR 4100 § 119 Nr. 28 m.w.N.). Eine Sperrzeit soll allgemein nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Der wichtige Grund muss auch den Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses decken, er muss zudem objektiv vorliegen (BSG a.a.O.). Im Falle der Aufgabe eines Beschäftigungsverhältnisses bezieht sich der wichtige Grund darauf, dass die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses deshalb nicht mehr als zumutbar angesehen werden kann, weil ansonsten die Interessen des Arbeitnehmers in unberechtigter Weise geschädigt würden (so schon BSG, Urteil v. 12.11.1981 - 7 RAr 21/81 = SozR 4100 § 119 Nr. 17).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Eine Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses war dem Kläger in der Situation, in der er sich am 8. April 2003 befunden hat, nicht (mehr) zumutbar. Der Kläger durfte deshalb - unabhängig davon, ob sein damaliger Arbeitgeber dies aufgrund einer zuvor ausgesprochenen Kündigung sogar ausdrücklich verlangt hat oder aber ob eine solche Kündigung nicht vorausgegangen ist - den Arbeitsplatz verlassen, ohne in der Folgezeit erneut seine Arbeit aufnehmen zu müssen. Dem Kläger konnte nicht zugemutet werden, sich weiterhin dem Tabakrauch an seinem Arbeitsplatz auszusetzen.

Dass in den Arbeitsräumen der Fa. M. ständig im Einvernehmen mit dem Firmeninhaber geraucht worden ist, hat sich bei der vom Sozialgericht durchgeführten Beweisaufnahme nachdrücklich bestätigt. Auch der Arbeitsplatz des Klägers lag in einem Bereich, in dem ständig geraucht wurde. Unter diesen Umständen und weil auch auf die Vorsprache des Klägers hin von Herrn M. insoweit keine Abhilfe geschaffen wurde, musste der Kläger weder - wie dies im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck gekommen ist - die aufgetretene "Rauchbelästigung" bis zum Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses hinnehmen, noch musste der Kläger weitere Versuche mit dem Ziel unternehmen, dass diese "Belästigungen" ihm gegenüber abgestellt wurden. Auch auf die "Rauchintensität", auf die das Sozialgericht maßgeblich abgestellt hat und die nach seiner - des Sozialgerichts - Auffassung noch keinen unerträglichen Grad erreicht hatte, kommt es insoweit nicht an.

Dass Passivrauchen mehr als eine bloße "Belästigung" darstellt, ist in der medizinischen Literatur vielfach belegt. So kommt z.B. die hierzu erstellte Studie das Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (Band 5: Prof. Dr. Heiko Becher u.a., "Passivrauchen, ein unterschätztes Gesundheitsrisiko", 2. Aufl. 2006) zum Ergebnis, dass Passivrauchen Auslöser für vielfache chronische Erkrankungen sein kann und eine konkrete Gesundheitsgefährdung mit möglichen Todesfolgen darstellt. Passivrauch enthält zahlreiche giftige Substanzen wie Blausäure, Ammoniak und Kohlenmonoxid, aber auch krebserregende Stoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, N Nitrosamine, aromatische Amine, Benzol, Vinylchlorid, Arsen, Cadmium, Chrom und das radioaktive Polonium 210. Die Studie des Krebsforschungszentrum Heidelberg geht deshalb davon aus, dass keine Dosis-Schwellenwerte festgestellt werden können, unterhalb derer keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten wäre. Vielmehr können nach den gewonnenen Erkenntnissen auch kleinste Belastungen insbesondere zur Entwicklung von Tumoren beitragen. Die angesprochene Studie schätzt, dass in Deutschland jährlich rund 2140 Nichtraucher, die Passivrauch ausgesetzt sind, an koronarer Herzkrankheit, 770 an einem dadurch ausgelösten Schlaganfall, 50 an chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und 260 Nichtraucher an einem Lungenkrebs sterben. Von ähnlichen Größenordnungen geht auch die Senatskommission zur Prüfung gesundheitlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgesellschaft aus, die Grundlage des fraktionsübergreifenden Entschließungsantrags im Deutschen Bundestag vom 25. September 2006 (BTDrucks. 16/2730) gewesen ist und mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, noch im Jahr 2006 einen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einzubringen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft an allen Arbeitsplätzen, auch im Bereich der Gastronomie, ausnahmslos vor Passivrauchen schützt und diesen Schutz vor den Schadstoffen des Tabakrauchs insbesondere auch auf alle Bürgerinnen und Bürger in sämtlichen öffentlichen Bereichen auszudehnen.

Der Senat hält das Ergebnis der Studie des Krebsforschungszentrums Heidelberg, die in die mündliche Verhandlung eingeführt worden ist, in jeder Beziehung für überzeugend. Im Hinblick auf die in dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse und dabei insbesondere die Erkenntnis, dass keine Dosis-Schwellenwerte für eine zu vernachlässigende Gesundheitsgefährdung genannt werden können, bleibt deshalb kein Raum mehr für die Auffassung der Beklagten, das Passivrauchen hätte vom Kläger noch für einige Zeit nämlich bis zum Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses - hingenommen werden müssen.

Der Senat folgt insoweit auch nicht der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 17.02.1998 – 9 AZR 84/97 = NJW 1999, S.162), wonach ein Arbeitgeber seiner Pflicht, Schutzmaßnahmen zur Abwehr von Gesundheitsgefahren, soweit sie sich auf den Tabakrauch beziehen, regelmäßig schon dann genügt, wenn die Belastung der Atemluft nicht über das sonst "übliche Maß" hinausgeht und es deshalb auf die persönliche Disposition des betroffenen Arbeitnehmers ankommen soll, ob für einen rauchfreien Arbeitsplatz Sorge getragen werden muss oder nicht. Stellt sich vielmehr - wie im Falle des Klägers - heraus, dass weder die Arbeitskollegen vom Rauchen in den betroffenen Arbeitsräumen ablassen, noch der Arbeitgeber seinerseits und zugleich endgültig bereit ist, den in § 5 ArbStättV enthaltenen Vorgaben zum Nichtraucherschutz zu entsprechen - bedarf es keines weiteren Zuwarten desjenigen Arbeitnehmers mehr, dem gegenüber dieser Nichtraucherschutz nicht gewährleistet ist.

Allerdings konnte vom Kläger erwartet werden, dass er gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber den nachdrücklichen Versuch unternimmt, zukünftig dem Passivrauchen am Arbeitsplatz nicht mehr ausgesetzt zu werden. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem von der Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteil v. 13.8.1986, a.a.O.) zu den Sperrzeittatbeständen der §§ 119 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw. zu §§ 144 SGB III hervorgehobenen Grundsatz, dass gerade bei der Auflösung von Beschäftigungsverhältnissen die Versichertengemeinschaft vor selbst zu vertretenden Risikofällen in besonderem Maße geschützt werden muss. Selbst zu vertreten kann aber auch ein Verhalten sein, bei dem im Einzelfall zumutbare Handlungen unterbleiben, die dazu beitragen können, ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis wieder in Bahnen zu lenken, die für beide Seiten dessen Fortsetzung ermöglichen.

Diesen Kriterien wird der vom Kläger eingeschlagene Weg indes gerecht. Nach dem Ergebnis der vor dem Sozialgericht durchgeführten Beweisaufnahme hat der Kläger bei dem am 8. April 2003 mit Herrn M. geführten Gespräch seine eigene Situation in Bezug auf das Passivrauchen hinreichend deutlich dargestellt und dabei auf eine Abhilfe zur Vermeidung des Passivrauchens gedrungen. Von seinem damaligen Arbeitgeber ist dieses Anliegen indes nicht aufgegriffen worden. Vielmehr hat Herr M. die Auffassung vertreten, der Kläger müsse – so seine Aussage vor dem Sozialgericht – „das Rauchproblem überstehen“. Dass bei dieser Gelegenheit Herr M. – wie dessen Einvernahme vor dem Sozialgericht entnommen werden kann – dem Kläger „anheim gestellt“ hat, die Firma zu verlassen, durfte vom Kläger durchaus als endgültige Haltung des Firmeninhabers verstanden werden, an der Situation hinsichtlich des vom Kläger angesprochenen Problems des Passivrauchens auf absehbare Zeit keine Änderung vorzunehmen. Im Hinblick darauf ist es auch nicht mehr entscheidungserheblich, ob es der Kläger war, der von sich aus die Initiative für dieses Gespräch ergriffen hat, oder – worauf die Beklagte abgestellt hat – Herr M. seinerzeit zum Gespräch zu sich gerufen hat.

Weitergehender Interventionen des Klägers bedurfte es unter den gegebenen Umständen nicht. Insbesondere konnte vom Kläger auch kein anderweitiges Vorgehen etwa gegenüber der zuständigen Berufsgenossenschaft oder aber durch eine arbeitsgerichtliche Klage erwartet werden. Ein Betriebsrat, an den sich der Kläger ggf. hätte wenden können, bestand zum damaligen Zeitpunkt bei Fa. M. nicht. Die dem Kläger zumutbaren Interventionen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes waren damit aber am 8. April 2003 erschöpft. Ein Festhalten an dem bestehenden Beschäftigungsverhältnis war dem Kläger unter diesen Voraussetzungen nicht mehr zumutbar.

Für die Feststellung einer Sperrzeit bleibt unter diesen Umständen kein Raum, so dass das sozialgerichtliche Urteil und die angefochtenen Bescheide der Beklagten keinen Bestand haben konnten. Dem Kläger ist deshalb bereits ab dem 9. April 2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die getroffene Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Datei:

2006-10-11-L-6-AL-0024-05.pdf

Erfassungsdatum:

14.03.2007