Betreff: Manufacturing Dissent ("Totales Rauchverbot" - Titel vom 6.4.)
Von: Ulrike Gundacker
Datum: Thu, 8 Apr 2010 18:59:42 +0000 (GMT)
An: leserbriefe@derstandard.at
CC: Manfred Neuberger

Sehr geehrte Redaktion! S.g. Herr Simoner!

Ich erlaube mir, Ihnen folgende Replik zu übermittlen:

Es ist immer wieder erheiternd und gleichzeitig bedenklich, zu sehen, welche Rolle die heimische Presse in der öffentlichen Debatte um „Rauchverbote“  in Österreich spielt: Offenbar lässt man sich gerne als „Multiplikator“ (story placement in APA?) für die Tabakindustrie instrumentalisieren, ein Verdacht, den die STANDARD Print-Ausgabe vom 6.April 2010 erhärtet:

 

Das drohende Unheil für die armen Raucher und Wirte wird zuerst prophetisch auf der Titelseite verkündet und zwar mit stark emotionalisierenden Begriffen wie „Totales Rauchverbot“ und „Nikotin-Stigmatisierung“. Diese Wortwahl könnte direkt von der Tabakindustrie stammen, denn sie bewirkt natürlich eine automatische Abwehr (die „Täter“ (die Schaden bewirken) sollen sich als „Opfer“ fühlen) und schürt den Widerstand gegen die „Bevormundung“ der „mündigen Bürger“ und redlichen Gastwirte, die sich von den „Nikotin-Taliban“ (Ainedter) und zaudernden Politikern schikanieren lassen müssen.

 

Auf Seite 8 wird dann noch mal Öl ins Feuer gegossen („Juristen warnen vor Verfassungsfalle“ und somit ein gezielter Präventionsschlag gegen Gesundheitsminister Stöger ausgeübt, dem hier klar  werden soll, was auf die Bundesregierung zukäme, sollte sich doch einmal (nach 25 Jahren) ein Staatsdiener finden, der der Tabaklobby die Stirn bietet (bereits 1986 wurde Passivrauchen erstmals als Gesundheitsgefährdung eingestuft). Diese Form der medialen „deterrence“  zur Verhinderung profitfeindlicher Gesetze hat sich in Österreich ja als sehr erfolgreich erwiesen, wer wüsste das besser als Philip Morris. (Man denke z.B. an das „Passive Smoking Symposium“ 1984 in Wien ….)

 

Doch die Botschaft der Verfassungsrechtler (so wie sie vom Standard interpretiert wird) ist äußerst konfus, denn einerseits warnt man davor, dass das Vertrauensprinzip ein später ausgesprochenes, generelles (EU) Rauchverbot verfassungswidrig machen würde, andererseits wird betont, es werde sich dann doch nur um eine „unverbindliche Empfehlung“ der EUC handeln, an die sich niemand halten müsse – was denn nun?  Seit wann hat die EU die Kompetenz für die Gesundheitspolitik übernommen?

 

Es ist offensichtlich, dass der Verfasser dieser Zeilen (APA?) entweder nicht wirklich weiß, worüber er schreibt oder im Dienste der Tabakindustrie steht, denn das Ziel ist einerseits die Einschüchterung der Politik nach dem Motto „Don’t even think about it“ (vor allem Stöger), andererseits die Aufruhr im Lande wieder mal zu schüren, um damit die öffentliche Rauch-Debatte in die gewünschte Richtung zu lenken bzw. den gewünschten negativen „frame“ zu erzeugen:  Rauchverbot als Bedrohung der „Freiheit“ (vor allem jener, Geld zu verdienen, egal womit) und Selbstbestimmung (Schutzgesetz? – kein Thema)

 

Äußerst seltsam ist nur, dass die meisten österreichischen Journalisten sich weigern, jene Fakten zu erwähnen, die eine völlig andere Perspektive eröffnen und zeigen, was man durch „perception management“ (mit Hilfe der Medien) erreichen kann:

 

Bereits in den 1990er Jahren stellte Branchenführer Philip Morris fest, dass die Mehrheit der Bevölkerung Bestrebungen für rauchfreie öffentliche Räume unterstützt:


 ...."growing support for restrictions on public smoking”:
79% support smoking bans in indoor public places and 60% think smoking should be restricted by law"  (
Für die EU siehe Eurobarometer Umfrage, Jan 2006, mehr als 70% Zustimmung)


Eigene Umfragen ergaben also, dass es eine klare Mehrheit für gesetzliche Rauchverbote gibt und auch durchaus Akzeptanz unter DEN RAUCHERN:

 

"If there was a surprise for some of us, it was that most of those who smoked did not report anger or resentment at smoking restrictions, even severe ones. They said such restrictions were appropriate in light of those who did not smoke."


Quelle: http://legacy.library.ucsf.edu/tid/pfx75c00/pdf  (Philip Morris  presentation, p. 19, Ellen Merlot)

Darauf reagierte man mit zwei Strategien: Einerseits das "Tolerance / Accomodation Program", das auch Kdolsky übernommen hat: 

 

"Develop communications and ally-building programs to favorably effect perceptions about smokers and the notion that they can happily co-exist with non-smokers"

 

Philip Morris konnte diese massiven "Bedrohungen" des Geschäftes durch präventive Gesundheitspolitik natürlich nicht tatenlos hinnehmen und hat noch ein weiteres  PR-Programm lanciert, um die Stimmung in der Bevölkerung  in ihrem Sinne zu verändern und den Anschein zu erwecken, dass die Durchsetzung einer konsequenten SMOKEFREE Politik fatale Folgen nach sich ziehen würde, vor allem für die Gastronomie, wo durch Horrorszenarien Ängste über drohende Umsatzverluste geschürt wurden, die sich als völlig unhaltbar erwiesen haben:

 

www.tobaccoscam.ucsf.edu         

http://tobaccocontrol.bmj.com/cgi/content/abstract/11/suppl_2/ii38


http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12612356?dopt=Abstract


 

(Man kann das selbst überprüfen: Fahren Sie mal nach Passau, dort sind alle Restaurants, Cafes und Shopping-Malls RAUCHFREI und das Geschäft blüht …!)


Die Manipulation der öffentlichen Meinung lässt sich u.a mit „freundlichen“ Statistiken erleichtern:

"Generate favorable public opinion data to underpin popularity of  accomodation themes and support for reasonable solutions (e.g. counteract EUROBAROMETER Passive Smoking survey"

 

Quelle: Philip Morris Corporate Affairs Europe,  ETS 3 yr Plan 1994-1996; Bates No. 20241871

Gekaufte Statistiken sollen also Unterstützung für das Toleranzprogramm generieren (oder suggerieren), um seriöse Statistiken wie Eurobarometer zu diskreditieren und Politiker in die Lage zu versetzen, ihr ewiges Hinauszögern eines effektiven Gesetzes bzw. die Vorlage von nicht exekutierbaren Pseudogesetzen - als Suchen nach einer fairen Lösung für alle zu präsentieren, während in Wahrheit die Interessen der Tabakindustrie die treibende Kraft sind:


Philip Morris:   "Develop preemptive legislation with acceptable solutions..."

Durch Etablierung von Raucher- und Nichtraucherräumen gewinnt natürlich das "Toleranzthema", während die Verpflichtung des Staates, die Bevölkerung vor gesundheitsschädlichen Stoffen zu schützen, immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird.

 

Durch völlig rauchfreie Gastronomie sinkt die soziale Akzeptanz des Rauchens dramatisch... deshalb müssen SMOKEFREE Policies  mit allen Mitteln bekämpft werden.

 

Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Rauchen wieder als das wahrgenommen wird, was es eigentlich ist: ein ekelhaftes, krankhaftes, dummes und rücksichtsloses Verhalten, das NICHTS mit Genuss oder Freiheit zu tun hat, aber VIEL mit Manipulation von Gefühlen und effektiver VERHALTENSSTEUERUNG. (siehe Edward Bernays). Die starke Suchtwirkung des Nikotins ist dabei natürlich eine große Hilfe ….

 

Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist das Einspannen von prominenten Persönlichkeiten, die scheinbar selbständig für "Freiheit und  Kaffeehauskultur" kämpfen, wie z.B. Herr Dr. Ainedter, der als Paradebeispiel für die Strategie der Tabakkonzerne dient, die nicht existenten, aber fleißig geschürten  „Raucherrechte“ zu verteidigen:


"Create, develop and assist SRGs (Smokers Rights Groups)"

"Enlist the help of libertarian opinion leaders, journalists, academcis. Continue to support events which help shift the debate away from smoking and health (siehe ARISE)

Quelle: Philip Morris Corporate Affairs Europe,  ETS 3 yr Plan 1994-1996; Bates No. 20241871

Die Debatte musste vom Gesundheitsthema auf das soziale Genießer -Thema  und auf das TOLERANZ- bzw. FREIHEITSTHEMA verlagert werden; FAKT statt FIKTION: wer wirklich genießen will, raucht natürlich nicht, weil dadurch die Geschmackssensoren (quasi „geselcht") in der Nase und auf der Zunge geschädigt werden, weshalb Raucher ein wesentlich vermindertes Geschmackserlebnis haben.


Fällt es keinem Journalisten in diesem Land auf, dass die Tabakindustrie sich (scheinbar) völlig aus der Debatte heraushält?

 

Da ich davon ausgehe, dass Journalisten nicht dumm sind, welche Erklärung bleibt dann noch für dieses Verhalten (die „Demaskierung der verdeckten Opposition“ (WHO)  zu unterlassen?)

 

Wenn abschließend Michael Simoner in seinem Kommentar  von einem „Treibsandseffekt“ spricht, sollte er mal darüber nachdenken, wer hier den Sand liefert bzw. die „mündigen Bürger“ dorthin führt...

 

Kdolsky war garantiert NICHT auf der Suche nach der „eierlegenden Wollmilchsau“, sondern hat schön brav das Programm von Philip Morris exekutiert, dessen Rechtsexperten wohl auch ein „Input“ zum absurden Tabakgesetz geliefert haben. Nach dem Motto: „PREEMPT EFFECTIVE LEGISLATION“ wurde ein Pseudo-Schutzgesetz so formuliert (erste Fassung des TG), dass es nur der Belustigung der Jura Studenten diente, während die novellierte Fassung genau das anrichtete, was geplant war: Chaos, Widerstand, Aufruhr, sozialen Unfrieden – womit dann die „Antis“ endgültig in die Defensive gedrängt wurden, als ob sie die Verursacher des Problems wären.

 

Falls Herr Simoner mit der Platitüde „man kann es nicht allen recht machen“ Kdolsky die Absolution für ihr Totalversagen (mindestens in der Tabakpolitik) erteilen will oder Stöger’s "Dilemma" (mit dem sprachlich furchtbaren Satz) er sei „in die emotionale Falle der an Emotionen ohnehin nicht gerade armen Debatte“ getappt, kommentiert, muss man sich fragen, wer denn hier die Emotionen schürt bzw. welche Rolle die Presse in diesem  Spiel hat. (Ich erinnere nur an die „Tabakhysterischen Anfälle“ etc.)

 

Dass der Autor letztlich ausgerechnet die Ärzte angreift (weil sie „hauptsächlich [nur?] Alarm schreien“) und kritisiert, dass „breite Strategien“ zur Rauch (Tabak)prävention fehlen, (interessant ist hier der Ausdruck „Volksdroge Nikotin“), bewirkt auch nur Kopfschütteln.

 

Denn die massiven PR-Kampagnen der Tabakindustrie (die ich oben kurz erwähnt habe), die seit Jahren gezielt auf alle „Targets“ gerichtet sind -

 

(„General Media“, „Ministry of Finance“, Ministry of Health“, Individual Politicians, Media Association, Manufacturers, High Profile Politicians, Antis, Chamber of Commerce, Advertisers, etc., die „usefulness“ ist auch gewichtet: „3“ (die höchste Wertung) für die Medien … aus Philip Morris Action Chart, Corporate Affairs Objectives, legacy library)

 

- geht ja weiter und da die Medien diesen wirtschaftlichen Machtmissbrauch (und die Willfährigkeit der Politik) nicht kritisch hinterfragen, sondern sich sogar in ihren Dienst stellen (Verschweigen der PR-Kampagnen, stattdessen immer derselbe primitive  angle“ (Raucher und Wirte contra Nichtraucher und die hilflose Politik in der Mitte) – wie soll sich da etwas ändern?

 

Das Fazit von Simoner „die Politik werde weiterhin auf den utopischen Konsens warten“ zeigt ja auch, wie einseitig (und von der Tabak-PR geprägt) die Perspektive der Journalisten hier ist.

 

Es gibt mittlerweile zahlreiche Länder, in denen eine „SMOKEFREE-POLICY erfolgreich umgesetzt wurde, was auch keine Kunst ist, wenn man es WIRKLICH will. Selbst für Idioten (wie Kdolsky) hat z.B.die WHO klare Leitlinien herausgegeben:

 

http://whqlibdoc.who.int/publications/2007/9789241563413_eng.pdf

 

Übrigens, schöne Grüße von den Tabak CEOs: (Journalisten rauchen ja auch oft  - brand image: „intellectual & liberal“)

 

Oh, we don’t smoke the shit,” [...] we reserve that for the young, the poor, the black and the stupid.” 

 

http://www.tobaccofreewomenandgirls.org/bigtobacco.html

 

Vielleicht sollten sich Journalisten in Österreich auch mal diesen Vortrag (eines englischen Kollegen) anhören? (Thema (u.a.): der Mythos der journalistischen „Objektivität“ (besonders auch für die Korrespondenten in Washington und Tel Aviv zu empfehlen …)

 

http://www.viddler.com/explore/cij/videos/15/

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ulrike Gundacker, Linz



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