Erhitzter Tabak

(von Astrid Viciano, gekürzt aus http://www.sueddeutsche.de/wissen/iqos-die-zigarette-danach-1.3821818)

Drei bis vier Milliarden US-Dollar hat Philip Morris in die Entwicklung von Iqos investiert, eine erste Produktionsanlage in Bologna aufgebaut, eine weitere in Dresden sowie in Aspropyrgos, Griechenland, wo eine einstige Zigarettenfabrik umgewandelt wird. Die 3 Anlagen zusammen sollen jährlich 100 Milliarden Tabakstifte herstellen können. Laut Wells Fargo sind die Erfolge enorm, im technikverliebten Japan, wo Iqos 2014 auf den Markt kam, seien 70 bis 80 Prozent der Raucher, die das neue Tabakgerät ausprobiert haben, darauf umgestiegen. Fast vier Millionen Raucher hätten bereits "das Rauchen aufgegeben", indem sie auf Iqos umgestiegen sind, darunter mehr als 700 000 in der EU, schreibt Philip Morris. Auch zwei große Konkurrenten setzen auf Tabakerhitzer: Japan Tobacco International hat sein Produkt Ploom entwickelt, British-American Tobacco ein weiteres namens Glo. Auf den Iqos-Plakaten prangt oft das Wort "Better" in Großbuchstaben, die Werbung erinnert mehr an ein Fieberthermometer oder ein Handy als an eine Zigarette. Auch mit dem Slogan "This changes everything" werde eine Wahrnehmungsveränderung weg von der Zigarette versucht, sagt Karsten Kilian, Professor für Markenmanagement an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt: "Mit Iqos soll sozusagen ein Neuanfang des Tabakkonsums eingeläutet werden". Rauchen 2.0 - trendig und stilvoll. Die edlen Iqos-Boutiquen erinnern an Apple-Stores. Laut der Zeitschrift Werben & Verkaufen haben gleich drei Werbeagenturen in Deutschland mit Philip Morris zusammengearbeitet, die Geräte lassen sich mittels Farbe und Namengravur individualisieren.

Doch wie ungesund ist der Konsum von Iqos? Bislang gibt es darauf keine klare Antwort. Die überwiegende Zahl der Studien dazu hat Philip Morris selbst durchgeführt oder zumindest bezahlt. Und viele davon sind im Fachblatt Regulatory Pharmacology and Toxicology erschienen. Chefredakteur ist Gio Gori, der seit 1980 als Berater der Tabakindustrie tätig ist, berichtete Medizinprofessor Stanton Glantz im November 2017 im Journal of Public Health Policy. Gemeinsam mit Kollegen der University of California in San Francisco hatte er sich 52 Studien zu Tabak und Nikotin angesehen. In 96 Prozent der Studien fanden sich Autoren mit Verbindungen zur Tabakindustrie, in 76 Prozent dieser Publikationen fielen die Ergebnisse positiv für die Konzerne aus. "Das wirft die Frage auf, inwiefern den Schlussfolgerungen der Studien Vertrauen geschenkt werden kann", schreibt der Forscher. Auf der internationalen Webseite von Philip Morris verwiesen zumindest im Mai 2017 Informationen zu Iqos in sechs von zehn Quellenangaben auf Artikel in besagtem Fachblatt, berichtet Glantz.

2017 stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erste eigene Ergebnisse vor. "Der Gehalt ist um bis zu 80 bis 99 Prozent reduziert, je nach Schadstoff" sagt Frank Henkler, Biochemiker am BfR. Aber trotz deutlich reduzierter Schadstoffemissionen bleibe die Nutzung dieser neuen Tabakprodukte mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Vor allem, weil große und lang angelegte Studien fehlen.
Internist Reto Auer publizierte 2017 online im Fachjournal Jama Internal Medicine. Gemeinsam mit einen Kollegen hatte er analysiert, welche Schadstoffe nach Erhitzen der Iqos-Sticks entstehen und mit jenen verglichen, die im Qualm von Tabakzigaretten der Marke Lucky Strike Lights zu messen sind. Auch der Internist beobachtete, dass der Schadstoffgehalt bei Iqos deutlich geringer ausfiel als bei den Vergleichsprodukten. Doch findet sich im Fazit der Studie auch ein Wort, das so gar nicht zu den Werbeslogans über Iqos passen mag: Rauch.
Tabak verbrennt vollständig bei einer Temperatur von mehr als 1300 Grad Celsius, erklärt Auer. Herkömmliche Zigaretten glühen jedoch nur mit 800 Grad, es kommt zu einer unvollständigen Verbrennung, bei der krebserregende Schadstoffe wie Acetaldehyd oder Benzopyren entstehen, wie auch Kohlenmonoxid - Stoffe, die Auer und Kollegen auch im Iqos-Aerosol gefunden haben. "Auch beim Erhitzen der Sticks kommt es zu einer unvollständigen Verbrennung, aus der sich Rauch entwickelt", so Auers Fazit. Philip Morris schreibt auf Anfrage, Rauch entstehe durch Verbrennen und müsse sowohl gasförmige als auch feste Partikel enthalte. In Iqos-Geräten dagegen werde der Tabak bei deutlich niedrigeren Temperaturen erhitzt. Dabei entstehe lediglich ein Aerosol, das im Gegensatz zu Zigarettenrauch keine festen Partikel enthalte. Würde Verbrennung stattfinden, müssten sich feste Kohlenstoffpartikel in den Emissionen finden. Ob aus dem Gerät also nun Rauch oder Dampf entweicht, mag haarspalterisch klingen, hat aber rechtliche Konsequenzen. Würde das Aerosol der Tabakerhitzer als Rauch definiert, kämen in vielen Ländern der Welt Nichtraucherschutzgesetze zur Anwendung - mit teilweise beträchtlichen Einschränkungen zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden und der Gastronomie.

Prompt erhielten die Vorgesetzten des Schweizer Ärzteteams Post. Der Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Bern, der Dekan der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne sowie der Leiter des Universitätsspitals in Lausanne bekamen am 6. Juni 2017 einen Brief von Philip Morris International, nicht jedoch Auer selbst. "In seinem Schreiben kritisierte Philip Morris die Studie", sagt Géraldine Falbriard, Pressesprecherin der Universität Lausanne. Drei Tage später folgte noch eine E-Mail des Konzerns, diesmal mit der Aufforderung, die Studienautoren zu instruieren, ihre Publikation zurückzuziehen - was üblicherweise nur geschieht, wenn grobe Fehler nachzuweisen sind. Später wurde auch Reto Auer selbst von Philip Morris kontaktiert, per E-Mail und im September 2017 per Telefon. Eine Iqos-Raucherin sei am Apparat, stellte sich die Unbekannte vor, sie habe ein paar Fragen zu dem Gerät. Erst auf Nachfrage bekannte sie, für Philip Morris zu arbeiten. Er sei enttäuscht, sagt Reto Auer, diese Reaktion von Philipp Morris habe er nicht erwartet. Zumal der Konzern in seinem Brief auch angeboten habe, mit ihm zusammenzuarbeiten und die Kosten für die Studien zu übernehmen. "Warum sucht Philip Morris die Zusammenarbeit mit uns, wenn wir doch angeblich so schlecht arbeiten?", fragt der Internist.

In der Zwischenzeit kamen Forscher aus Japan zu dem Schluss, dass sich das Iqos-Aerosol samt Schadstoffen leicht in Innenräumen verteilen könne, ohne sich klar zur Frage über die Rauchentstehung zu äußern. Umgangssprachlich versteht man unter Rauch ein Aerosol, das aus feinsten Flüssigkeitstropfen und festen Partikeln besteht. Aus wissenschaftlicher Sicht interessiert dagegen vor allem, welche und wie viele Schadstoffe beim Gebrauch von Iqos entstehen - und vom Nutzer aufgenommen werden. So sei denkbar, sagt Ute Mons, dass - ähnlich wie es bei Light-Zigaretten festgestellt wurde - die Nutzer des neuen Geräts das Aerosol tiefer oder öfter inhalieren und die gesundheitlichen Risiken daher weniger stark sinken, als die Schadstoffangaben nahelegen. Oder dass mehr Schadstoffe entstehen, weil die Geräte nicht gründlich gereinigt wurden und noch Tabakreste darin verkokeln. "Das alles wissen wir noch nicht. Wir brauchen Fakten statt Meinungen", sagt Auer. Der Internist verweist auf den Medizin-Professor Neal Benowitz von der University of California in San Francisco, der kürzlich Studien von Philip Morris zu Iqos kritisierte. Nur 58 möglicherweise gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe von Tabakprodukten habe Philip Morris untersucht, schreibt Benowitz, dabei liste die US-Arzneimittelbehörde FDA insgesamt 93 Substanzen auf. Und bei den niedrigeren Temperaturen des Tabakerhitzers könnten andere Schadstoffe entstehen als in der Tabakzigarette. Philip Morris schreibt dazu, dass eine aktuelle Studie keinen Hinweis auf die Entstehung neuer Substanzen geliefert habe. Die Emissionen von Iqos seien gemäß der Substanzlisten der FDA und anderer Institutionen untersucht worden. Für Philip Morris steht viel auf dem Spiel. In den USA hat der Konzern bei der FDA gleich mehrere Anträge eingereicht - erstens, um Iqos langfristig in den USA verkaufen zu dürfen und zweitens, um es als weniger risikobehaftet einstufen zu lassen als herkömmliche Zigaretten. Sollte die FDA beide Anträge, wie erwartet, 2018 durchwinken, eröffnet sich für Philip Morris ein riesiger Markt.