Das fetale Tabaksyndrom

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Es kann von einer Vielzahl von direkten und indirekten negativen Wirkungen des Tabakrauchs auf den Fetus ausgegangen werden. Die verfügbaren toxikologischen Untersuchungen unterstreichen die in klinischen und epidemiologischen Studien gefundenen Effekte.

Noch deutlicher Aufholbedarf besteht bei gezielt auf Schwangere abgestimmten Rauchentwöhnungs-Programmen, um durch das Vermeiden von intrauterinem Passivrauchen Krankheiten bei Kindern und ­Jugendlichen zu reduzieren.

Die Evidenz für den schädigenden Einfluss von mütterlichem Rauchen in der Schwangerschaft ist in vielen Bereichen sehr gut dokumentiert (Tab.). Es kann mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Rauchen in der Schwangerschaft einen starken und konsistenten negativen Einfluss auf das Geburtsgewicht, Plazenta-assoziierte Erkrankungen, Totgeburten, Frühgeburten, fetales Wachstum, SIDS, Übergewicht im späteren Kindesalter, Spaltbildungen, schlechtere Lungenfunktion, Asthma bronchiale, kardiovaskuläre Erkrankungen sowie mentale Entwicklungsverzögerung und ADHS hat. Diese Faktoren sind aus heutiger Sicht unter dem Begriff „Fetales Tabaksyndrom“ zu subsummieren. Einflüsse auf andere Gesundheitsaspekte sind (noch) weniger gut belegt und in vielen Bereichen sind noch weitere Studien nötig.

 

 

Epidemiologie

Eine Metaanalyse von 25 Studien zwischen 1966 und 2004 zeigte große Diskrepanzen in der Prävalenz von Rauchen in der Schwangerschaft1, 2, die zwischen 15 und 25 % zu liegen scheint3. In Deutschland liegt die Prävalenz von Rauchen während der Schwangerschaft bei 21 % [9], ähnlich der Prävalenz in Österreich mit 20 %–30 %4 (Abb.).

 

 

Beschriebene ­Gesundheitsschäden

Pathophysiologische ­Hintergründe

Im Detail können die Auswirkungen des Rauchens in der Schwangerschaft auf den Fetus einerseits durch die direkte Wirkung der im Zigarettenrauch enthaltenen Toxine auf die fetalen Zellen erklärt werden. Andererseits werden indirekte Wirkungen der im Tabakrauch enthaltenen Stoffe auf die Plazenta vermutet. Nikotin wirkt im menschlichen Körper über Nikotin-Acetylcholinrezeptoren (nAChRs). Die höchste Affinität für Nikotin haben Leber, Niere, Milz, Lunge und Gehirn.45 Nikotin wird u. a. in der fetalen Lunge gespeichert, Spitzenkonzentrationen von Nikotin im Fetus entstehen 15–30 Minuten nach Zigarettenkonsum.46 Teilweise scheidet der Fetus das aufgenommene Nikotin in die Amnionflüssigkeit aus, wo es ebenfalls akkumuliert und höhere Konzentrationen als im maternalen Blut erreicht.47 Neben den schädigenden Effekten des Nikotins sind auch für andere Bestandteile des Tabakrauchs (Zyanide, Sulfide, Kadmium, CO, oxidative Produkte, Benzpyrene etc.) zytotoxische Effekte und direkte Wirkungen auf die feto-plazentare Einheit bekannt.48

Störung der Plazentafunktion: Tabakrauchexposition verursacht in der Plazenta bereits in der Frühschwangerschaft eine Verdickung der Basalmembran des Trophoblasten, eine Erhöhung des Kollagengehalts der mesenchymalen Zotten und eine Einschränkung der Vaskularisierung. Diese anatomischen Veränderungen wiederum verursachen enzymatische und synthetische Funktionsveränderungen. Dieser direkte Effekt auf die plazentare Funktion sowie auf die Proliferation und Differenzierung von Zellen erklärt die erhöhte Rate von Aborten, fetaler Wachstumsverzögerung, Totgeburt und Plazentalösungen bei Frauen, die während der Schwangerschaft rauchen.49

Möglichkeiten zur ­(medikamentösen) Intervention

Bei der aktuellen Datenlage können weder Bupropion noch Vareniclin zur medikamentösen Rauchentwöhnungstherapie in der Schwangerschaft empfohlen werden49–61, für die Nicotine Replacement Therapy (NRT) hingegen fehlt zurzeit der Nachweis einer ausreichenden Wirksamkeit62 und es bestehen deutliche toxikologische Bedenken wegen unerwünschter Nebenwirkungen21, 51, vor allem auf das fetale Gehirn62. Medikamente einschließlich Nikotinersatz sollten daher vor Eintritt einer Schwangerschaft die Entwöhnung erleichtern, während Schwangeren psychotherapeutische Hilfen angeboten werden sollten. Die gleichzeitige verhaltensmodifizierende Behandlung des Partners erhöhte in mehreren Studien die Erfolgsrate der Raucherentwöhnung während der Schwangerschaft.64–66
Derzeit bieten nur wenige Zentren in Österreich ein gezielt auf Schwangere abgestimmtes Rauchentwöhnungs-Programm an, sodass hier noch deutlicher Aufholbedarf besteht, um präpartale Tabakexposition zu vermeiden. Des Weiteren ist eine umfassende Information der Schwangeren (z. B. über den Mutter-Kind-Pass) nötig, in die nun auch die Hebammen eingebunden werden. GynäkologInnen, die eine schwangere Frau im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen betreuen, erfragen bei der Anamnese Rauchgewohnheiten, dokumentieren dies auch auf der im Mutter-Kind-Pass vorgesehenen Seite und sollen in dem Zusammenhang auch auf die schädigende Wirkung des Rauchens hinweisen und diese Aufklärung auch dokumentieren. Die Schwangerschaft stellt für viele Frauen eine sehr große Motivation dar, mit dem Rauchen aufzuhören. GynäkologInnen, KinderärztInnen, InternistInnen, LungenfachärztInnen und AllgemeinmedizinerInnen sind gerade in dieser Zeit gefordert, Frauen auf die schädigenden Effekte des Rauchens und die Möglichkeiten der Rauchentwöhnung hinzuweisen und kompetent zu informieren. Gelegenheit dazu bietet auch die im Mutter-Kind-Pass vorgesehene „Interne Untersuchung“.

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Autor: OÄ Priv.-Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz

Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Akademisches Lehr­krankenhaus, Wilhelminenspital der Stadt Wien


Literatur bei der Verfasserin

* Ungekürzte Version erschienen in: Horak F. Jr., Fazekas T., Zacharasiewicz A., Eber E., Kiss H., Lichtenschopf A., Neuberger M., Schmitzberger R., Simma B., Wilhelm-Mitteräcker A., Riedler J.: Das Fetale Tabaksyndrom – Statement der Österreichischen Gesellschaften für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG), Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP), Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) sowie Pneumologie (ÖGP). Wien Klin Wochenschr 2012; 124: 129–145

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