Aus „Rauchersituation in Österreich“ von M. Neuberger, Universum Innere Medizin 2001, 3, 37-38

 

Dzt. sterben in Österreich jährlich ca. 12000 Menschen durch Tabakrauchen, weit mehr als durch illegale Drogen, Alkohol, Verkehrsunfälle, AIDS, Morde und Selbstmorde zusammen. Bei Frauen hat Lungenkrebs seit 1980 um >40% zugenommen und das Schlimmste steht uns noch bevor. Die meisten erwachsenen Rauchern bereuen, je damit angefangen zu haben, kommen aber umso schwerer davon los, je früher sie mit dem Rauchen begonnen haben. Die Rauchanfänger werden immer jünger, besonders die Mädchen. Von 1990 bis 98 stieg der Raucheranteil bei den 15-Jährigen von 14 auf 23%, bei Mädchen sogar von 12 auf 26%. Damit haben wir einen europäischen Spitzenplatz erreicht. Die Tabakkonzerne wissen, dass sie ihren Absatz nur steigern können, wenn sie mehr junge Raucher dazugewinnen als davon loskommen oder daran sterben. So pflegt eine raffinierte, direkte und indirekte Tabakwerbung das Image des „coolen“ Rauchers, zu der auch das Sportsponsoring gehört. Mädchen wird erfolgreich suggeriert, dass sie nur mit der Zigarette erwachsen, emanzipiert und erfolgreich werden, dabei schlank und schön bleiben und dass man mit einer Zigarette nie allein ist. Tatsächlich führt Rauchen zu Leistungseinbußen, vorzeitiger Hautalterung,etc., hilft zwar zunächst, pubertäre Unsicherheit zu kaschieren, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, später illegale Drogen oder ein Übermaß an Schlaf– und Aufputschmittel zu nehmen und es gibt auch enge Beziehungen zum übermäßigen Alkoholkonsum. Die höchsten Raucherraten fanden sich bei 15-Jährigen in Hauptschulen/Polytechnicum (32%) und BHS (27%).  Kinder aus Raucherhaushalten werden selbst wieder häufiger zu Rauchern, die ihre Kinder, Partner und Arbeitskollegen einem erhöhten Gesundheitsrisiko aussetzen. So pflanzt sich die Krankheitsepidemie durch Rauchen und durch unfreiwilliges Mitrauchen über Generationen fort. In anderen Ländern gelang aber bereits eine Trendumkehr seit der (in Österreich noch schweigenden) Nichtrauchermehrheit die Gesundheitsfolgen des Passivrauchens bewusst gemacht wurden, und zwar nicht nur die Gefahren für Ungeborene und Kinder (SIDS, Atemwegsinfekte, Asthma, Otitis media, etc.), sondern auch für Erwachsene. Der Nebenstromrauch ist durch die geringere Verbrennungstemperatur gefährlicher als der Hauptstromrauch. Im Harn von Mitrauchern finden sich neben Abbauprodukten des Nikotins auch genotoxische Substanzen. Das Lungenkrebsrisiko wird durch Passivrauchen um ca. 30% erhöht, das Risiko an Herz- Kreislauferkrankungen zu sterben um 20%. Dazu kommen noch Erkrankungen der Lunge und Atemwege, von denen ein wesentlicher Teil mit Passivrauchen am Arbeitsplatz zusammenhängt, wie u.a. eine große Schweizer Studie nachwies. Passivrauchen ist heute in Österreich für mehr Todesfälle verantwortlich als die gesamte Palette von Teer, Ruß, Diesel, Benzol, Asbest und allen Schwermetallen, die wir in unseren Städten im Freien einatmen. Trotzdem blieben die Verletzungen der entsprechenden Schutzbestimmungen im Tabakgesetz bisher ohne Sanktionen und sogar das Rauchverbot für Schulliegenschaften, das der Unterrichtsminister zunächst als Konsequenz des Tabakgesetzes in die Schulordnung aufgenommen hatte, wurde nach Protesten der Lehrergewerkschaft wieder zurückgenommen, gilt jetzt nur mehr für Schüler und das ab einem bestimmten Alter nicht mehr auf dem Schulhof. Diese "Liberalisierung" oder "Deregulierung" führt wieder dazu, dass Lehrer vor Schülern rauchen und dass die Schüler den Tag herbeisehnen, ab dem sie alt genug sind, um auf dem Schulhof rauchen zu dürfen. Auch erscheint es völlig unverständlich, dass man von einem Bergmann, einem Tankwart oder einer Arbeiterin in der Chipindustrie verlangen kann, 8 Stunden lang nicht zu rauchen, weil das Material den Rauch nicht verträgt, aber einem Lehrer nicht zumuten kann, 5 bis 6 Stunden lang nicht zu rauchen. Offenbar hat in Österreich der Schutz der Gesundheit und der Jugend noch einen geringeren Stellenwert als der Schutz des Materials. Ebenso unverständlich ist, dass man in vielen Spitälern nur dem Patienten, der ohnedies in einer schwierigen Situation ist, das Rauchen verbietet, während das Rauchen des Personals und manchmal auch der Besucher toleriert wird. Das führt unter anderem dazu, dass die nichtrauchenden Schwesternschülerinnen durch den Gruppendruck im Spital zu Raucherinnen gemacht werden. Tabakrauch ist die einzige karzinogene Luftverunreinigung, für die das Arbeitnehmerschutzgesetz die Möglichkeit offenläßt, Verbote durch Lüftung zu ersetzen, was aber den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen in keiner Weise Rechnung trägt, denn zur Reduktion des Lungenkrebsrisikos auf akzeptable Werte wären Luftwechselzahlen erforderlich, die einem Sturm gleichkämen.   In rauchfreien Betrieben, wo die Raucher ins Freie (oder separat belüftete Räume) gehen müssen, zeigte sich dagegen eine auch für sie gesundheitlich vorteilhafte Nebenwirkung: Der Raucheranteil ging um 20% zurück und der tägliche Zigarettenkonsum der verbleibenden Raucher nahm um 20% ab.    Zur Trendumkehr in Österreich wären folgende Maßnahmen erforderlich:

·        Schaffung rauchfreier Arbeitsplätze und öffentlicher Gebäude (Schulen, Spitäler, Restaurants, etc.)

·        Verbot von direkter und indirekter Tabakwerbung und -sponsoring, Übernahme des Sportsponsoring durch das Gesundheitsressort

·        Höhere Zigarettenpreise durch Steuern, die zum Teil für Tabakkontrolle, Tabakprävention und Vorsorgemedizin zweckgebunden werden

·        Flankierende Zollgesetzgebung und Überwachung, Bekämpfung des Schwarzmarktes und des Steuerbetruges über das Internet

·        Erzwungene Offenlegung von Empfängern direkter und indirekter finanzieller Zuwendungen der Tabakindustrie

·        Kooperation von Behörden mit NGOs (Initiative Ärzte gegen Raucherschäden, Umwelt- und Konsumentenschutzverbände)

·        Aufklärung über Gefahren des Passivrauchens (Politiker, Journalisten, Eltern, Lehrer)

·        Kampagnen zur Stärkung des Nichtraucherimages, Aktionen in Schulen (Be smart, don't start!), Multiplikatorenschulung (Peer Groups)

·        Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Desinformationskampagnen der Tabakkonzerne

·        Information der Finanz- und Wirtschaftsminister über die volkswirtschaftlichen Kosten des Rauchens (Bericht der Weltbank)

·        Tabakverkaufsverbote  an Kinder, aber Strafen nur für die Verkäufer

·        Vermehrtes Anbot erschwinglicher und effizienter Entwöhnungsmöglichkeiten

·        Öffentlich geförderte Quitline in Verbindung mit umweltmedizinischer Beratung (Positivbotschaft: Gesundes Umweltverhalten)

·        Individuelle Raucherberatung (nach Alter, Geschlecht, etc.) und

·        Raucherberatung für Gruppen (Betriebe, Abteilungen, etc.) in Verbindung mit Programmen zur Primärprävention (z.B. rauchfreie Schulen, Krankenhäuser), die Lehrern, Krankenhauspersonal, Medizinstudenten, etc. kostenlos angeboten wird, um das Gruppenziel rascher zu erreichen.

Fernziel dieser Maßnahmen aus ärztlicher Sicht ist eine Gesellschaft, in der das Rauchen "out" ist wie das "freie Ausspucken", das heute nicht mehr durch Schilder verboten werden muß und in der die Aschenbecher aus öffentlichen Gebäuden entfernt werden können wie seinerzeit die Spucknäpfe.